Ein Viertel mehr Piazza-Besucher am Filmfestival Locarno
Ein Drittel mehr Piazza-Besucher gegenüber dem Vorjahr, heisse Nächte und ein mitreissender indischer Superstar, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Das Locarno Film Festival ist erfolgreich in seine 77. Ausgabe gestartet. Bis und mit Sonntagabend haben im Vergleich zum Vorjahr 25 Prozent mehr Personen die Piazza Grande besucht.
Nimmt man das um einen Abend erweiterte Vorfestival hinzu, sind es 40 Prozent mehr Besucherinnen und Besucher. Dies erklärte der kaufmännische Direktor des Festivals Raphaël Brunschwig auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Auch in den Sälen verzeichnet das Filmfestival einen leichten Besucheranstieg von vier Prozent.
Insgesamt stiegen die Besucherzahlen um 18,6 Prozent. Mitgeholfen haben dürften die schönen Sommernächte. Während im letzten Jahr die erste Festivalwoche von instabilem Wetter geprägt war, hatte das Locarno Film Festival in diesem Jahr Wetterglück.
Höhepunkt der ersten Festivalwoche war zweifelsohne der humorvolle und energiegeladene Auftritt des Bollywood-Stars Shah Rukh Khan am Samstagabend auf der Piazza Grande. Der 58-Jährige, der in seiner rund 35-jährigen Karriere in über 100 Filmen mitgespielt hat und weltweit 3,5 Milliarden Fans haben soll, nahm am Samstag die Auszeichnung für sein Lebenswerk entgegen.
Der publikumswirksamste Schauspieler der Welt zeigte sich vor den 8000 Zuschauern der Piazza Grande von einer sehr humor- und gefühlvollen Seite. Kino sei das einflussreichste Medium der Welt, erklärte der ganz in Schwarz gekleidete Schauspieler und Produzent. Filme müssten aber nicht moralisierend oder intellektuell sein, sondern in erster Linie Gefühle ausdrücken, hielt Khan fest.
Nicht nur Khans sympathische und humorvolle Art machten den Samstagabend zu einem besonderen Piazza-Erlebnis, sondern auch die leidenschaftlich auftretenden, vorwiegend weiblichen Fans, welche von ausserhalb der Absperrung lautstark ihrem Idol huldigten.
Während in anderen Jahren harte Actionfilme und düstere Streifen die Geister schieden, war die Programmierung auf der Piazza Grande in diesem Jahr bisher ausgewogener.
Der Auftaktfilm «Le Déluge» des italienischen Regisseurs Gianluca Jodice («The Bad Poet») zeigt Marie Antoinette und Ludwig XVI in den letzten Tagen ihrer Herrschaft und offenbart, was fast in Vergessenheit geraten ist: Auch sie waren nur Menschen.
In poetisch-kühlen Bildern fängt der Historienfilm einen vorläufigen Kulminationspunkt der Französischen Revolution ein, ohne die Revolution selbst zu zeigen. Das Werk – ein eigentliches Kammerspiel – hüllte die Piazza Grande am ersten Abend in eine magisch-nachdenkliche Stimmung.
Der mit grosser Spannung erwartete neue Schweizer Film «Electric Child» von Simon Jaquemet konnte den hohen Erwartungen nicht ganz standhalten. In starken, pulsierenden Bildern erzählt der Film von einem mit KI-experimentierenden Wissenschaftler, der verzweifelt sein krankes Kind zu retten versucht und dabei eine Grenze nach der anderen überschreitet.
Obwohl besonders in der zweiten Filmhälfte nicht ganz alles nachvollziehbar ist, wirft der Film interessante Fragen zum Umgang mit künstlicher Intelligenz auf, die mitunter auch etwas Beängstigendes haben.
Das Locarno Film Festival dauert noch bis zum 17. August.