Fehlende Versorgung für ältere Menschen ohne Familienangehörige
Wegen der Corona-Krise werden Versorgungslücken sichtbar. Die Situation für ältere Menschen ohne Familienangehörige wird immer schwieriger.
Das Wichtigste in Kürze
- Kinderlose und alleinstehende Menschen rücken wegen der Corona-Krise in den Fokus.
- Die Corona-Pandemie macht die ganzen Versorgungslücken sichtbar.
- Aufgrund tieferen Renten sind alleinstehende Frauen im Alter doppelt betroffen.
Die Corona-Pandemie rückt Schweizer Rentnerinnen und Rentner in den Fokus, die alleinstehend und ohne Kinder alt werden. Das sind acht Prozent oder rund 100'000 Menschen, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Frauen sind stärker betroffen als Männer: 43 Prozent aller 70- bis 80-jährigen Frauen leben ohne Partner - bei den Männern sind es knapp 20 Prozent. Eine neue Studie des Migros-Kulturprozent analysiert, unter welchen Umständen Menschen ohne Familienangehörige altern.
Jede fünfte ältere Person in der Schweiz wird ohne Kinder alt, jede zwölfte hat zudem keinen Partner beziehungsweise keine Partnerin. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat dies im Auftrag von Cornelia Hürzeler, Projektleiterin Soziales beim Migros-Kulturprozent, analysiert.
Hürzeler sagt: «Das Migros-Kulturprozent will den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Wie ältere Menschen ohne Familienangehörige mit ihrer Lebenssituation umgehen, ist noch kaum erforscht. Wir wollen wissen, auf wen sich die Betroffenen im Alter verlassen können. Daraus gewinnen wir neue Erkenntnisse für unsere Arbeit.»
Frauen im Alter: häufiger allein und finanziell schlechter gestellt
Alleinstehende und kinderlose Frauen sind im Alter doppelt betroffen: Männer gehen laut Studie nach dem Tod ihrer Partnerin oder ihres Partners eher wieder eine Beziehung ein als Frauen. Frauen beziehen zudem oft tiefere Renten und können sich die benötigte Betreuung wie eine Haushaltshilfe nicht leisten. «Es ist möglich, dass Freundinnen und Freunde im Alter ebenso wichtige informelle Hilfe wie Familienangehörige leisten». Dies sagt Nora Meuli, Studienautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW.
Während die Betreuung von Familienangehörigen eher auf Solidarität und Verpflichtungsgefühl basiere, funktioniere bei freundschaftlichen Beziehungen eher die Gegenseitigkeit: «Hilfst du mir, so helfe ich dir.» Cornelia Hürzeler ist überzeugt: «Mit der steigenden Anzahl von alleinstehenden, kinderlosen Menschen werden Caring Communities und andere zivilgesellschaftliche Initiativen weiter an Bedeutung gewinnen. Für die künftigen Herausforderungen braucht es gute gemeinsame Lösungen, die im Zusammenspiel von Staat, Markt und Zivilgesellschaft entwickelt werden. Hier setzt das Migros-Kulturprozent mit seinen sozialen Projekten an, indem es den Dialog ermöglicht und innovative Modelle fördert.»
Corona-Pandemie macht Versorgungslücken sichtbar
Die Corona-Pandemie rückt die Situation älterer Menschen ohne Familienangehörige in den Fokus. «Die neu entstandenen Hilfsangebote stimmen mich hoffnungsvoll, dass auch Nachbarschaften die nötige Betreuung im Alter übernehmen können», sagt Nora Meuli. Ob die Unterstützung durch Nachbarn, Freunde oder Freiwillige auch über die Krise hinaus Bestand habe, werde sich erst zeigen.
Die Vorstellung, dass alle älteren Menschen auf die Betreuung und Pflege durch ihre Familienangehörigen zählen könnten, sei überholt. Gleichzeitig sei die ambulante Versorgung, ohne unbezahlte Betreuungsarbeit durch Familienangehörige, nicht denkbar. Das Gesundheitssystem und der Sozialstaat bauten auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen könnten.«