Für mehr Intensivbetten «benötigt man 12-24 Monate»
Intensivbetten aufstocken statt Zertifikatspflicht ausweiten: Die Forderung der SVP sei, wenn überhaupt, erst in Jahren umsetzbar, sagt Chefarzt Hans Pargger.
Das Wichtigste in Kürze
- Die SVP fordert die Aufstockung der Intensivbetten in den Spitälern.
- Das sei in diesem Zeitpunkt eine naive Forderung, sagt Intensivmediziner Hans Pargger.
- Es dauere 12 bis 24 Monate, nur schon um z.B. 10 Pflegestellen zusätzlich zu besetzen.
Weniger die Fallzahlen mit Coronavirus, sondern die freien Intensivbetten sind derzeit das Mass aller Dinge. Der Bundesrat nimmt sie zum Massstab für die Belastung des Gesundheitssystems. Vorläufig verzichtet er auf weitere Massnahmen wie die Ausweitung der Zertifikatspflicht, weil die Zahl der Spitaleinweisungen zumindest nicht mehr zugenommen habe.
Auf Massnahmen könnte man auch weiterhin verzichten, fordert derweil die SVP. Sie verlangt, dass die Anzahl Intensivbetten schweizweit um 50 Prozent auf rund 1200 aufgestockt wird.
Dies sei «zielführender und letztlich unter dem Strich günstiger», um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Die Ausweitung der Zertifikatspflicht dagegen sei reine Panikmache.
Nau.ch hat Professor Hans Pargger mit dieser Forderung konfrontiert. Er ist Präsident der Zertifizierungskommission Intensivstationen der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin und Chefarzt an der Intensivstation des Universitätsspitals Basel.
Nau.ch: Herr Pargger, der Koordinierte Sanitätsdienst der Armee führt eine Statistik mit freien, belegten und durch Covid-19-Patienten belegten Intensivbetten. Betrachtet man diese, entsteht der Eindruck, es seien je länger je weniger Betten – obwohl doch eigentlich mehr Betten gefragt wären.
Hans Pargger: Ich kann Ihnen versichern, dass die tatsächliche Anzahl zertifizierter Betten während der Pandemie nicht ab- oder zugenommen hat, auch in der Statistik des KSD. Jedoch werden nie alle Betten auch betrieben, auch schon vor der Pandemie nicht, deshalb gibt es da Schwankungen.
Wenn man ein zertifiziertes Bett betreiben will, muss man das notwendige Personal dazu haben. Daraus ergibt sich, dass in einem ersten Schritt die Spitäler die zertifizierten Betten alle mit Personal ausstatten müssten, das heisst mit Ärzten und Pflegenden.
Nau.ch: Genau hier setzt doch die SVP an. Sie fordert, die Anzahl Intensivbetten auf 1200 oder 1300 zu erhöhen. Dazu brauche es eine Ausbildungsoffensive, zum Beispiel mit Schnell-Lehrgängen.
Hans Pargger: «Forderungen» für einen Aufbau inmitten einer starken Belastung zu stellen, helfen deshalb nicht, weil sie nicht schnell genug umsetzbar sind. In der Regel benötigt man 12 bis 24 Monate, um zum Beispiel 10 Pflegestellen zusätzlich zu besetzen.
Die Ausbildungsoffensive zum jetzigen Zeitpunkt finde ich eine naive Forderung: Wer mit welchen Vorkenntnissen soll denn die Schulungen besuchen, und wer soll Ausbildner sein? Alle fähigen Leute arbeiten jetzt auf der Intensivstation. Mal sehen, ob diese Forderung mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen nach Abklingen dieser Welle noch Bestand hat.
Bei den Fachärzten ist es ähnlich. Wenn es denn überhaupt gelingt! Oft ist das Halten des Personals schon ein Riesenerfolg, und je mehr auf den Intensivstationen herumgehackt wird, desto schlimmer wird das.
Nau.ch: Also kurzfristig wäre eine Aufstockung der Intensivbetten nicht machbar, mittelfristig aber durchaus anzustreben?
Hans Pargger: Die zusätzlich bereitgestellten Ressourcen kosten natürlich auch sehr viel! Zusätzliche zertifizierte Betten schaffen bedeutet, dass auch die entsprechenden Räumlichkeiten vorhanden sein müssen. Das heisst Quadratmeter, Ausrüstung, Strukturen – und dann noch Personal. Dieser Prozess dauert noch länger als die reine Personalsuche.
Und die Bürger müssen bereit sein, die zusätzlichen Kosten zu tragen, sei es mit Steuern oder Krankenkassenbeiträgen. Eine Aufstockung der zertifizierten Betten muss deshalb gut überlegt sein und darf nicht auf dem Boden einer temporären Belastung gefällt werden. Die temporäre Belastung muss verhindert werden, zum Beispiel mit Impfen oder konsequentem Einhalten der Schutzmassnahmen bei Nicht-Geimpften.
Wenn im Verlauf der Pandemie viele Zahlen falsch rapportiert, verdreht und mit Halbwissen falsch interpretiert werden, dann wird es schwierig. Genau diesen Eindruck habe ich jetzt. Niemand hat sich vor ein paar Monaten für Intensivbetten interessiert, und man wusste nichts darüber, ausser, dass sie teuer sind. Heute ist jeder Experte.
Nau.ch: Welchen Spielraum haben Intensivstationen noch, sollten die Patientenzahlen weiter ansteigen?
Hans Pargger: Ein akuter Mangel an Personal und Betten kann nur mit Ausdünnung und Überbelastung des vorhandenen Personals und Hilfestellung durch Nicht-Fachpersonal, und mit Ausrüstung und Räumen, die nicht zertifizierbar wären, überbrückt werden. Bis zu einem gewissen Grad ist das machbar. Aber wenn es zu lange dauert, wird man am Schluss statt mehr Betten weniger betreiben können: Weil das Personal krank wird und ausfällt.