Laien vergiften sich immer wieder mit dem tödlichen Knollenblätterpilz. Nun kann das Gegenmittel nicht mehr geliefert werden. Kontrolleure mahnen zu Vorsicht.
grüner knollenblätterpilz
Der grüne Knollenblätterpilz. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Informationsstelle für Fragen rund um Vergiftungen warnt Pilz-Sammler.
  • In der Schweiz geht das Gegenmittel für Knollenblätterpilz-Vergiftungen aus.
  • Jedes Jahr landen tödliche Pilze in den Körben der Sammler, so auch heuer.
  • Häufig seien es Laien, die das Pilzlen etwa vom Grosi gelernt haben.
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Wie tödlich die grünen Exemplare sind, zeigt der bekannte Fall «Filet Wellington». Die australische Amateurköchin Erin Patterson geriet in die weltweiten Schlagzeilen.

Drei ihrer Gäste sterben kurz nach dem Zmittag, darunter auch ihre Schwiegereltern. Die Polizei vermutet, dass die Frau eine Mischung von Knollenblätterpilzen verkocht hatte.

Jetzt ist Pilz-Saison in der Schweiz. Und zum dümmsten Zeitpunkt kommt es zu einem Engpass. Tox Info Suisse, die Schweizerische Informationsstelle für Fragen rund um Vergiftungen, schlägt Alarm.

Das Gegenmittel (Antidot) für Knollenblätterpilz-Vergiftungen kann derzeit nicht in die Schweiz nachgeliefert werden. Auch nicht ins Ausland.

Würdest du einen Knollenblätter-Pilz im Wald erkennen?

«Manche Spitäler haben noch kleine Reserven. Sind die aufgebraucht, dann gibt es bis Mitte November kein Antidot mehr», sagt die leitende Ärztin Cornelia Reichert zu Nau.ch.

Auch in diesem Jahr habe es schon Vergiftungen gegeben. «Speziell in der jetzigen Situation gilt es, jegliche Pilzvergiftungen zu vermeiden.» Der Gang zur Pilzkontrollstelle sei wichtiger denn je.

So viele Knollenblätterpilze landen im Korb

Dass Kontrollen nötig sind, zeigen die Zahlen der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane der Schweiz (Vapko). «Letztes Jahr wurden von 21'370 durchgeführten Kontrollen in 297 Kontrollen tödlich-giftige Pilzarten gefunden», sagt Sprecherin Marionna Schlatter zu Nau.ch.

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Für Pilz-Sammler ist es derzeit umso wichtiger, dass sie in die Kontrolle gehen. (Im Bild: Steinpilz)
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Das Gegenmittel für Vergiftungen mit dem Knollenblätterpilz kann derzeit nicht geliefert werden. Wohl bis Dezember nicht.
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Der tödliche Pilz wird mit dem Champignon verwechselt.
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Letztes Jahr mussten 297 Knollenblätterpilze aussortiert werden.
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Ohne Gegenmittel kommt es bei Verzehr innert ein bis zwei Tagen zu einem Leberversagen.

Anders gesagt: Pro 100 Kontrollen kommen ein bis zwei Sammler mit tödlich giftigen Pilzen im Korb vorbei. Die Experten sortieren diese aus, bevor sie in der Suppe, im Risotto – oder im Filet Wellington landen.

Zürcher Kontrolleur staunt: «In 40 Jahren noch nie erlebt»

Pilzkontrolleur Ferdinand Uehli aus dem Kanton Zürich beschäftigt sich bereits 40 Jahre mit Pilzen. «Dass das Gegenmittel nicht geliefert werden kann, habe ich noch nie erlebt.»

Während es offiziell heisst, das Gegenmittel fehle noch bis November, wurde ihm auf Nachfrage bei der Medikamentenfirma gesagt: Sogar bis Dezember wird nichts geliefert.

Was Uehli beunruhigt: «Das fehlende Gegenmittel ist unter manchen Sammlern noch kein grosses Thema. Ich weiss nicht, ob das allen bewusst ist.» In guten Pilz-Saisons finde er in Sammler-Körben fünf bis sechs Mal Knollenblätterpilze.

«Es sind Leute, die mit den Grosseltern pilzlen gingen»

Die Basler Pilzkontrolleurin Ursula Gass bewahrte auch heuer schon mehrere Sammler vor Schlimmerem: «Dieses Jahr hatte ich schon Knollenblätterpilze in der Kontrolle. Die Leute wussten nicht, was sie gesammelt haben.»

Aussortieren muss Gass vor allem bei unerfahrenen Pilz-Sammlern. «Teilweise sind es Leute, die früher mit den Grosseltern pilzlen gingen und Jahre nicht mehr im Wald waren.»

Hast du gerne Pilze?

Zum Pilze-Sammeln brauche man aber Erfahrung. «Da helfen keine Apps – wer sich für das Hobby Pilzen interessiert, der muss auch die giftigen kennen. Als allererstes den grünen Knollenblätterpilz.»

Auch in der Pilzkontrolle Thun BE finde man «relativ oft» giftige Pilze, so Samira Locher, Leiterin Wasserlabor Thun. Auch hier seien es meistens «unerfahrene Sammler. Wir finden relativ häufig hochgiftige kleine Schirmlinge, die zum Teil dasselbe Gift wie Knollenblätterpilze enthalten.»

Knollenblätterpilz wird mit Champignon verwechselt

Kein Fan von Pilz-Apps ist auch Schlatter, diese würden «sehr unzuverlässig funktionieren». Je nach Reifegrad oder Umwelteinflüssen sähen Pilze nämlich ganz anders aus. «Es gibt verschiedene Knollenblätterpilze, die verschiedenen Pilzarten ähnlich sehen», sagt Schlatter.

Zum Beispiel: «Weisse Knollenblätterpilzarten werden mit Champignons verwechselt, die grüne Art eher mit grünen Täublingen. Sind die Pilze noch jung und von der Gesamthülle eingeschlossen, also im Ei, werden sie manchmal mit Bovisten verwechselt.»

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sei die Farbe der Lamellen, so Locher: «Bei Knollenblätterpilzen sind die Lamellen immer weiss. Bei Champignons zartrosa, dann hell kaffeebraun, zuletzt schokoladenbraun.»

Der Knollenblätterpilz rieche ausserdem nach Kunsthonig «und wächst bei Laubbäumen wie der Eiche», fügt Gass an. Auffallend sei der Ring und eine knollige Stielbasis mit der typischen Hülle, so Schlatter. «Dieser ‹Knollen› ist aber meist im Erdboden und wird deshalb übersehen.»

«Ohne Gegenmittel kommt es innert ein bis zwei Tagen zum Leberversagen»

Werden versehentlich Knollenblätterpilze gegessen, folgen «innert sechs bis 18 Stunden heftigste Magen-Darm-Symptome», so Tox-Info-Ärztin Reichert. «Das Problem beim Knollenblätterpilz: Ohne Gegenmittel kommt es innert ein bis zwei Tagen zu einem Leberversagen.»

Täglich rufen bei Tox-Info Amateur-Pilzler an und erkundigen sich zu möglichen Vergiftungen. In manchen Fällen können die Fachleute schon am Telefon entwarnen. Etwa, wenn nur Röhrlinge gesammelt wurden und keine Lamellenpilze. Wenn die Pilze vor dem Verzehr vom Pilzkontrolleur angeschaut wurden, kann sofort entwarnt werden.

Kann ein Knollenblätterpilz nicht ausgeschlossen werden, werden als nächster Schritt Essens- oder Pilz-Resten von der Vapko unter dem Mikroskop angeschaut.

Wegen des Risikos einer lebensbedrohlichen Vergiftung werde aber lieber einmal zu viel als einmal zu wenig das Gegenmittel verabreicht. Das Mittel müsse wegen der drohenden Leberschäden nämlich sobald als möglich zu sich genommen werden.

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