Gesundheitswesen klagt über fehlende Infusionen
Zahlreiche Infusionslösungen sind aktuell nicht lieferbar. Schweizer Spitäler versuchen mit viel Aufwand, für ihre Patienten Ersatz aufzutreiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Schweizer Spitäler beklagen einen Lieferengpass bei Infusionslösungen.
- Grund sind Ausfälle bei einem Lieferanten, der nun auch andere Lieferanten berifft.
- Auch für Covid-Patienten sind Infusionslösungen aber essenziell.
Antibiotika, Arthritis-Medikamente und Schmerzmittel: Vier Seiten lang ist die Liste der Arzneimittel-Engpässe des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Nicht auf der Liste figuriert Wasser mit einer Prise Salz – aber es fehlt den Spitälern genau so. Während täglich um die 18'000 Personen hospitalisiert werden, mangelt es teilweise an der Grundausstattung. Das, was das Personal im Schlaf an Haken hängen kann und auf keinem Symbolbild fehlen darf: die Infusionen.
Lieferengpass bei Infusionen
«Es fehlt Triviales wie Kochsalzlösung oder simpler Zucker in Wasser gelöst, aber für uns ist der Aufwand riesig.» Dies sagt Enea Martinelli, Chefapotheker am Spital Interlaken und Betreiber der Lieferengpass-Website drugshortage.ch.
Wie viele andere Spitäler bezieht Martinelli viele Produkte von der ebenfalls in Interlaken ansässigen «Grosse Apotheke Dr. G. Bichsel AG». Gemäss Drugshortage-Liste kann Bichsel 48 Produkte aktuell nicht liefern, grösstenteils Infusionen.
In den vergangenen Monaten habe es tatsächlich Lieferengpässe bei den Infusionslösungen gegeben, bestätigt Galenica, der Mutterkonzern von Bichsel, gegenüber Nau.ch. Grund sei ein intensives Umbauprojekt am Produktionsstandort und gleichzeitig eine erhöhte Nachfrage nach Infusionslösungen auf dem Schweizer Gesundheitsmarkt. «Wir begleiten die Schweizer Spitäler während dieser Phase eng und suchen gemeinsam nach geeigneten Alternativen.»
«Natürlich könne man auf andere Hersteller ausweichen, bestätigt Martinelli: «Wir behelfen uns mit vielen Alternativlösungen und nehmen, was wir kriegen.» Immer wieder andere Lieferanten, mal bekomme man was von der Firma Braun, mal von Fresenius, mal wird importiert.
«Es ist bei jeder Bestellung ein Spiessrutenlauf», klagt Martinelli. Und der Dominoeffekt schlägt bereits zu. Mittlerweile figurieren auch drei Infusionslösungen von Braun und je eine der Firmen Amino und Baxter auf Martinellis Engpass-Liste.
Für Covid-Patienten relevant
Die Spital-Pharmazie des Universitätsspitals Basel führt intern ebenfalls drei Bichsel-Infusionen als «nicht lieferbar». Auch hier wird mit der Beschaffung analoger Produkte anderer Firmen kompensiert. «Der Zeitaufwand, den wir hierfür investieren müssen, ist erheblich und verbraucht viel personelle Ressourcen», sagt Herbert Plagge, Leiter Pharmalogistik & Prozesse. Selbst herstellen wäre komplex und in diesen Chargengrössen um ein Mehrfaches teurer.
Doch ohne geht nichts mehr: Wasser mit 0,9 Prozent NaCl, Natriumchlorid, im Volksmund Kochsalz genannt, sei für Patienten essenziell, so Plagge. Solche Lösungen würden benötigt, um Arzneimittel in Pulverform aufzulösen und den Patienten zu verabreichen. Andere Infusionslösungen dienen als Flüssigkeitsersatz oder, um Elektrolytverschiebungen im Stoffwechsel auszugleichen.
«Der Engpass ist unter anderem auch für Covid-Patienten relevant», betont Martinelli. «Weil zum Beispiel auch das Wasser zur Befeuchtung der Atemwege fehlt.»
«Nicht ganz ungefährlich»
Am Universitätsspital Basel fehlt auch ein Adrenalin-Produkt der Firma Bichsel. Einen anderen Anbieter für exakt das gleiche Produkt gebe es in der Schweiz aber nicht. Die Lösung für die fehlende Lösung: die noch erhältliche, zehnmal höher konzentrierte Lösung verdünnen. Nicht gerade ein Wunschszenario, wie Enea Martinelli an einem Beispiel aus seinem Spital aufzeigt.
Gemäss WHO-Richtlinie sollten auf den Stationen keine konzentrierten Elektrolyte lagern. Insbesondere Kalium und Magnesium stünden hier im Fokus, betont Martinelli. Eine falsche Anwendung oder Verwechslung kann zum Tod von Patienten führen.
«Wir haben deshalb von Bichsel eine fertig verdünnte Lösung machen lassen», erklärt Martinelli: «Die Station hat angehängt und fertig.» Da auch diese Lösungen nicht lieferbar seien, müssten die Stationen jetzt notgedrungen wieder Ampullen verdünnen und dann so anwenden. «Das ist nicht nur aufwendiger, sondern eben auch nicht ganz ungefährlich.»
«Verzeichnen eine spürbare Verbesserung»
Die Suche nach Behelfslösungen sollte indessen bald ein Ende haben. «In der Zwischenzeit konnte die Produktion wieder hochgefahren werden, und wir verzeichnen eine spürbare Verbesserung der Liefersituation», betont Galenica. Dank verlängerter Produktionsschichten stelle man eine Vielzahl an Produkten wieder her. Ziel des Umbauprojekts war es auch, «neue und effizientere Abfülllinien für sterile Lösungen in Betrieb nehmen zu können».
Dass damit trotzdem nicht alle Versorgungsschwierigkeiten aus dem Weg geräumt sind, weiss man allerdings auch bei Galenica. «Engpässe können generell entstehen, zum Beispiel bei Nichtverfügbarkeit von Inhaltsstoffen oder schnell ansteigender Nachfrage», heisst es.
Genau dies macht auch Enea Martinelli Sorgen in Bezug auf die künftige Versorgung des Gesundheitssystems. «Das Beispiel zeigt, dass der Nachschub bei einem Ausfall eines Lieferanten nicht so schnell-schnell sichergestellt werden kann, wie das einige Politiker meinen…»