Coronavirus: Experte warnt vor Medikamenten-Engpässen wegen Politik
Das Wichtigste in Kürze
- Wegen der Corona-Pandemie gibt es noch mehr Lieferengpässe bei Medikamenten als zuvor.
- Die Situation werde aber durch die Sparpolitik des Bundes noch zusätzlich angeheizt.
- Davor warnt Experte Enea Martinelli: «Hersteller werden vertrieben!»
Dass gewisse Medikamente und Wirkstoffe wegen der Coronavirus-Pandemie knapp werden könnten, war früh klar. So hat der Bundesrat schon Mitte März Schmerzmittel wie Aspirin und Ibuprofen rationiert.
Andere Medikamente kamen auf die «Liste der wichtigen Arzneimittel», für die spezielle Regelungen gelten, damit Engpässe bekämpft werden können. Doch die Sparpolitik des Bundes im Gesundheitswesen mache genau das Gegenteil, warnt Experte Enea Martinelli: Engpässe fördern.
Corona-Medikamente werden knapp
Dass die Lage ernst ist, zeigt das Beispiel eines Medikaments, das auch für die Behandlung von Corona-Patienten Verwendung findet. Mit Voriconazol werden schwere Pilzinfektionen bekämpft, die bei Patienten auf der Intensivstation auftreten können. Unter der Marke «Vfend» vertreibt Pharma-Riese Pfizer das entsprechende Pulver für eine Infusion.
Nur: Vfend ist seit Anfang August nicht mehr verfügbar, Dauer des Engpasses unbekannt, teilte das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL mit. Die Empfehlung: Das Generikum, ebenfalls von Pfizer, verwenden. Kleines Problem dabei: Dieses ist ebenfalls auf der Engpass-Liste: Die Versorgung erfolge bis Mitte Oktober aus dem Pflichtlager.
«System wird Politik um die Ohren fliegen»
Das sei zwar ein Problem, in diesem Falle aber lösbar, sagt Enea Martinelli, Chefapotheker am Spital Interlaken. Er ist in diversen Funktionen Vorkämpfer gegen Lieferengpässe bei Medikamenten. In der Koordinationsgruppe mit dem Bund habe man die Situation bei Voriconazol besprochen und werde die Lage beobachten.
Kein Anlass zu mehr Sorge als üblich, und trotzdem sagt Martinelli: «Letztendlich wird das System der Politik um die Ohren fliegen.»
Die Schweiz handle nach der Devise «wir tun was und schauen danach, ob es entgegen aller Warnungen das Richtige war». Derweil Deutschland mit einer Milliarde die heimische Produktion fördert, Frankreich und die EU haben ebenfalls entsprechende Programme. Die Schweiz will aber vor allem eins: Die Gesundheitskosten senken.
Fokus auf Billig-Produkte vertreibt Hersteller
Der Bundesrat will bei Medikamenten ein Referenzpreissystem: Für einen Wirkstoff legt der Bund einen Höchstpreis fest, wer ein teureres Produkt will, zahlt selbst. Noch schlimmer als das Referenzpreissystem sei aber das «Billigstprinzip», klagt Martinelli. Dieses schlägt die Gesundheitskommission des Nationalrats vor.
Bei Arzneimitteln mit gleicher Wirkstoffzusammensetzung sollen Ärzte und Apotheker das günstigste abgeben müssen. Wünscht ein Patient ein anderes Produkt, wird die Differenz von der Krankenkasse nicht vergütet. Genau dieses Prinzip führe zu den Lieferengpässen, warnt Martinelli. «Mit der Zeit gibt es wohl nur noch ein Produkt, nämlich jenes, das jeden Preisschritt unterbietet.»
«Und schon haben wir ein Problem»
Die teureren Konkurrenten würden sich vom Markt zurückziehen. Das ist billiger, aber bei einem Ausfall des einzig verbliebenen Produkts wäre dann keine Alternative vorhanden. «Und schon haben wir ein Problem», ist Martinellis Folgerung: «Die Lösung ist also weder durchdacht noch wirklich gut.»
Wenn man Preise diskutiere, müsse man auch die Versorgung diskutieren: «Sonst geht das nicht.» Diskutiert wird gestern und heute erneut in der Gesundheitskommission des Nationalrats. Dort wird man auch bemerkt haben: Die Versorgungsengpässe haben sich erneut verschärft.
Die Versorgung mit dem Voriconazol-Generikum von Pfizer aus dem Pflichtlager ist bereits um einen Monat verlängert worden. Das Original Vfend ist nach wie vor nicht verfügbar. Immerhin kann (noch) auf andere Hersteller ausgewichen werden. Doch: Neu auf der Liste, weil beschränkt lieferbar, ist seit dieser Woche auch das Voriconazol-Generikum von Sandoz.