Berner Inselspital braucht sechsmal täglich Sicherheitsdienst
Die Gewalt in den Spitälern explodiert. Einige melden erneut eine Zunahme – das Berner Inselspital zum Beispiel verzeichnete 2024 deutlich mehr Zwischenfälle.
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Das Wichtigste in Kürze
- Die Gewalt-Situation in den Schweizer Spitälern hat sich nicht beruhigt.
- Mehrere Einrichtungen melden einen weiteren Anstieg.
- Das Berner Inselspital musste letztes Jahr 400 Mal öfter Security rufen als im Vorjahr.
Eine Psychiatrie-Patientin, die eine Pflegerin mit voller Kraft in den Kopf beisst. Eine Frau, die den Mitarbeitenden im Spital Bülach ZH droht, sie habe eine Bombe im Rucksack.
Oder ein Patient, der einen Sex-Spruch macht, als eine Luzerner Pflegerin seinen Leisten-Verband kontrolliert. Und ihr danach eine Facebook-Anfrage schickt.
Die Liste solcher Zwischenfälle in Schweizer Spitälern und Psychiatrien ist lang.
Schon letztes Jahr klagten die Spitäler, dass die Gewalt zugenommen hat. Doch die Situation hat sich inzwischen nicht verbessert – in vielen Einrichtungen gar weiter verschlechtert.
Inselspital meldet 400 Fälle mehr als im Vorjahr
Zum Beispiel im Berner Inselspital. Sprecher Daniel Saameli erklärt gegenüber Nau.ch, dass es dort 2024 zu mehr Gewaltvorfällen gegen das Personal kam.
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Er berichtet: «Die Zahl der Interventionen des Sicherheitsdienstes in der Universitätsklinik für Notfallmedizin hat zugenommen.»
Im Jahr 2023 gab es laut Saameli noch 1990 Interventionen, 2024 waren es schon 2300. Sprich: Im Schnitt musste das Spital sechsmal pro Tag den internen Sicherheitsdienst rufen.
«Es kam zu körperlicher, verbaler und sexueller Gewalt gegen Mitarbeitende», erzählt Saameli. Auch Sachbeschädigungen habe es gegeben.
Spitäler müssen genau abwägen, wann sie Polizei rufen
Das Kantonsspital Baselland hat 2024 ebenfalls eine Zunahme festgestellt. «Das wird von allen Stellen so erlebt – Notfall, Bettenstationen und Sicherheit», sagt Sprecherin Anita Kuoni zu Nau.ch.
Auch sie berichtet von verbalen Entgleisungen bis hin zu körperlichen Übergriffen.
Eine Schwierigkeit, mit der sich das Spital konfrontiert sieht: «Wir sind an die Schweigepflicht gebunden und dürfen nicht ‹einfach so› die Polizei aufbieten. Wir müssen also immer abwägen: handelt es sich ‹nur› um eine Beleidigung oder bereits um eine Bedrohung?»
Sogar Putzpersonal wird attackiert
Auch das Kantonsspital Winterthur berichtet von einer Zunahme. «Wir haben es täglich mit solchen Fällen zu tun», sagt Sprecher Thomas Meier.
Er listet auf: «Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen, Schläge, Kratzen, Beissen, Spucken und Würgen.»
Opfer solcher Attacken werden laut Meier nicht nur Pflegekräfte und die Ärzteschaft – «sondern auch das Reinigungspersonal».
Sowohl in Winterthur als auch im Baselbiet fehlen konkrete Zahlen. Beide gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
Angehörige drohen wegen Wartezeiten
Am Universitätsspital Zürich ist man mit renitenten Patientinnen und Patienten ebenfalls vertraut.
Sprecherin Martina Kaelin sagt: «Die Zahl der Bedrohungen und Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte und Pflegepersonen hat über die Jahre zugenommen.»
Immerhin «verharrt sie aber seit einiger Zeit auf dem gleichen hohen Niveau». Rund 40 Prozent der Konflikte würden sich auf der Notfallstation ereignen.
«Die drohenden Personen befinden sich in der Regel in einer Ausnahmesituation. Sie stehen häufig unter dem Einfluss von Alkohol, Betäubungsmitteln und/oder Medikamenten oder leiden an einer Hirnverletzung.»
Auch Angehörige von Patienten würden manchmal bedrohlich. «Beispielsweise, wenn sie das Gefühl haben, die Behandlung lasse zu lange auf sich warten.»
Gewalt «sozusagen Berufsalltag»
Ohnehin stark betroffen von solchen Zwischenfällen sind Psychiatrien. Bei den Psychiatrischen Diensten Aargau haben sie aber zuletzt noch weiter zugenommen, wie es auf Anfrage heisst.
Die Rede ist von «Übergriffen auf das Personal, sowohl verbal als auch körperlich». Auch die Intensität der Übergriffe hat zugenommen, heisst es.
Von den sieben Spitälern und Psychiatrien, bei denen Nau.ch angefragt hat, stellen nur zwei keine Zunahme fest.
Eine davon ist die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich. Dort hat man den Eindruck, dass die Zahl der Vorfälle stabil geblieben ist.
Sprecher Marc Stutz erklärt jedoch: «In der Akutpsychiatrie gehören – in erster Linie verbale – Aggressionen und Gewalt sozusagen zum Berufsalltag.»
Das lasse sich kaum mit der Situation in Spitälern vergleichen – aufgrund der psychischen Erkrankungen der Patienten. «Teilweise verbunden mit zusätzlichem Substanzgebrauch.»
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Das einzige befragte Spital, das keine Zunahme von Gewalt-Zwischenfällen feststellt, ist das Kantonsspital St. Gallen.
Auch hier kennt das Personal aber «teils aggressive» Patientinnen, Patienten oder Angehörige, wie es auf Anfrage heisst.
Sogar Hausverbot für Patienten gab es schon
Mit Gewalt sind also alle befragten Institutionen konfrontiert. Doch was tun die Spitäler und Psychiatrien, um ihre Mitarbeitenden zu schützen?
Viele setzen auf einen Sicherheitsdienst, wie sie gegenüber Nau.ch erklären – zum Beispiel das Kantonsspital Baselland.
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«Die Polizei ist leider aufgrund von Fachkräftemangel und anderer Vorkommnisse nicht immer auf Abruf bereit. Darum müssen wir in den Spitälern viele Situationen selber händeln», sagt Sprecherin Kuoni.
Es kommt sogar vor, dass Patientinnen oder Patienten ein Hausverbot erhalten. «Ausser in lebensbedrohlichen Situationen. Dann sind wir als öffentliches Spital an die Aufnahmepflicht gebunden.»
Weitere Sicherheitsmassnahmen, die verschiedene Spitäler kennen: Flucht- und Rückzugsmöglichkeiten für Mitarbeitende, Personal-Schulungen und Meldetools.