In Zürich werden neue Wohnungen immer kleiner
Neue Bauprojekte in Städten wie Zürich und Bern fokussieren sich grösstenteils auf kleinere Wohnungen. Das hat seine Gründe – und Folgen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Städten wie Zürich oder Bern entstehen mehr kleinere Wohnungen als grössere Wohnungen.
- Das erhöht bei Immobilienfirmen die Rendite.
- Familien mit zwei Kindern oder mehr haben es aber immer schwieriger – oder zahlen mehr.
Trotz zahlreicher Bauprojekte in Zürich bleibt der Wohnraum knapp. Neue Projekte bieten oft keine grossen Wohnmöglichkeiten für Familien. Dieser Mangel an grossen Wohnräumen spiegelt einen landesweiten Trend wider: Es werden immer weniger grosse Wohnungen gebaut.
Der Anteil der neu gebauten Wohnungen mit über vier Zimmern sank zwischen 2002 und 2022 von 79 auf 42 Prozent. 2-Zimmer-Wohnungen dagegen stiegen von fünf auf 22 Prozent. Im Kanton Zürich ist der Effekt noch klarer zu sehen, berichtet der «Tages-Anzeiger».
Neben anderen Städten entstehen auch in Bern mehr kleinere Wohnungen. Auch dort hätten die 1- und 2-Zimmer-Wohnungen seit 2017 am meisten zugenommen.
Auf den Trend reagieren Immobilienfirmen. Ein Chef betont gegenüber der Zeitung aber, dass die Entscheidung für kleinere Wohnungen nicht primär von Renditeüberlegungen getrieben wurde. Man habe die Wohnungsgrösse den Grundstücken entsprechend angepasst.
Der Architekt und frühere Stadtbaumeister von Zürich, Patrick Gmür, hingegen meint: «Die kleineren Wohnungen sind in den Städten ohne Zweifel ein Trend.» Aus seiner Erfahrung könne er sagen: «Meistens spielt bei der Wohnungsgrösse das Geld eine Rolle». Finanziell sei es lukrativer, zwei kleinere Wohnungen zu vermieten als eine grosse.
Kleinere Wohnungen und weniger Familien
Gmür kritisiert diese Entwicklung aus architektonischer und sozialer Sicht. «Ich staune, dass alle Investoren heute das Gleiche verlangen.» Bei einer grösseren Überbauung sei dies: 40 Prozent 2,5-Zimmer-Wohnungen, 50 Prozent 3,5-Zimmer-Wohnungen und 10 Prozent 4,5-Zimmer-Wohnungen und grösser.
Diese Veränderung hat auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Städte. Gmür stellt fest: Noch drei Prozent aller Haushalte in Zürich seien Familien mit zwei Elternteilen und zwei Kindern. Zudem leben etwa zwei Drittel der Bevölkerung in der Stadt Zürich alleine.
Robert Weinert von Wüest Partner, einer Beratungsfirma für Investoren, rät diesen ab, nur auf Kleinwohnungen zu setzen. Er sagt zur Zeitung: «Falls sich die Nachfrage einmal ändert, trägt man ein Klumpenrisiko und das Risiko von grossen Leerständen steigt.»
Die Frage, ob der Rückgang der Familien die Zunahme kleinerer Wohnungen verursacht hat oder umgekehrt, bleibt offen. Weinert sagt jedoch: «Sicher ist, dass die Antworten auf diese Fragen miteinander zusammenhängen.»
Auch Geringverdiener leiden
David Kaufmann, ETH-Professor für Raumentwicklung, hat laut «Tagesanzeiger» festgestellt, dass bei Neubauten in Zürcher Bahnhofsnähe oft die bisherigen Bewohner wegziehen.
«Entweder können sie sich das Leben in den neuen Wohnungen nicht mehr leisten. Oder die neuen Wohnungen sind ihnen zu klein.» Zu den Verdrängten gehören oftmals Alleinerziehende, Ausländer und Geringverdiener. Diejenigen, die einziehen, seien häufig Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die gut verdienen.
Der ETH-Professor bewies in einer Studie zudem, dass bei Neubauten die Haushaltseinkommen der neuen Mietenden im Monats-Schnitt 3500 Franken höher sind als diejenigen der Vormieter.
Familien mit mehreren Kindern sind daher gezwungen, Kompromisse einzugehen und auf zusätzlichen Raum zu verzichten.