Junge Eltern lassen «Mami» und «Muetti» aussterben
Das Kind, das seiner Mutter auf dem Spielplatz «Mami» ruft, ist zum seltenen Bild geworden. Die Koseform muss einer neuen Bezeichnung Platz machen.

Das Wichtigste in Kürze
- Immer weniger Kinder nennen ihre Eltern «Mami» und «Papi».
- Auch die Vornamen-Anrede ist rückläufig.
- Durchgesetzt hat sich eine vermeintlich deutsche Anrede.
Du sagst deinen Eltern «Mami» und «Papi» oder «Muetti» und «Vati»? Dann gehörst du womöglich zu den letzten deiner Art.
Denn: Die Kinder von heute nennen ihre Eltern zunehmend anders. «Anredeformen ändern sich von Generation zu Generation», erklärt Sprachforscherin Helen Christen von der Universität Freiburg bei Nau.ch.
Als Beispiel nennt sie ihre eigene Familie – sie selbst ist 1956 geboren. «Ich nannte meine Eltern ‹Muetti› und ‹Vati›. Meine Mutter wiederum sagte ihren Eltern ‹Mamme› und ‹Babaa›. Mein Vater dagegen sagte seinen Eltern ‹Muetter› und ‹Vater›.»
Heute besonders beliebt: «Aktuell boomen die Koseformen ‹Mama› und ‹Papa›», erklärt Christen.
Kommt die Mama aus Deutschland?
Doch woher kommt die «Mama» plötzlich? Stecken die omnipräsenten deutschen Influencer oder gar die vielen Expats aus Deutschland dahinter?
Nein. «Mit Deutschland hat das Ganze nichts zu tun», sagt die Expertin.
«Anders, als viele meinen, kommen ‹Mama› und ‹Papa› – auch, wenn sie dort beliebt sind – nicht aus Deutschland. In Wirklichkeit handelt es sich um die eingedeutschten Versionen der französischen Begriffe ‹Maman› und ‹Papa›.»
Im Deutschen gab es ganz früher andere Anredeformen für die Verwandten, erklärt Christen. «Beispielsweise ‹Att› oder‹Ätti› für den Vater, ‹Vetter› für den Cousin oder ‹Oheim› für den Onkel.»
Doch es ist ja jetzt doch eine Weile her, seit die Franzosen in die Schweiz einmarschiert sind. Warum boomen «Mama» und «Papa» also gerade jetzt?
Junge Eltern wollen sich «von der Elterngeneration abgrenzen»
«Jede Generation will sich von der Elterngeneration abgrenzen. Das zeigt sich auch in der Wahl der Kosenamen», erklärt Christen.
Kurz: «Mami» und «Papi» sind out, weil die heutige Elterngeneration ihre Eltern so genannt hat. Und sie will nicht so angesprochen werden, wie sie selbst ihre Eltern anspricht.
«Oft geht es auch darum, innerhalb der Familie Verwechslungen auszuschliessen. Wenn die Grossmutter von der Mutter ‹Mami› genannt wird, schafft man eine Unterscheidung, indem man die Mutter ‹Mama› nennt. So wissen alle direkt, wer gemeint ist.»
Warum es nicht die «Mamme» und der «Bappe» sind, sondern «Mama» und «Papa», die ein Comeback geben, ist unklar.
Klar ist: Die Bewegung weg vom «Mami» zeichnet sich seit einiger Zeit ab. «In den letzten Jahren ist die Anrede noch seltener geworden», beobachtet Christen. «Nicht so jedoch als informelle Mutter-Bezeichnung wie in ‹Mami›-Tag, ‹Mami› werden, und so weiter.»
Papa heisst nicht Stefan
Doch nicht nur das Mami stirbt langsam aus, sondern auch die Vornamen-Anrede für Eltern.
Christen sagt: «Innerhalb der 68er-Generation war es beliebt, sich als Eltern von seinen Kindern mit dem Vornamen anreden zu lassen. Damit wollte man signalisieren, dass man die Kinder respektiert und ihnen auf Augenhöhe begegnet.»
Die 68er-Bewegung setzte sich für sozialen Wandel ein – so wurde etwa gegen die strikte Sexmoral und für Frauenrechte protestiert. 1971 wurde dann in der Schweiz das Frauenstimmrecht auf Bundesebene eingeführt.
Doch auch die Hippies haben sich mit ihrer bevorzugten Eltern-Anrede nicht durchgesetzt. «Die Vornamen-Anrede ist in den letzten Jahren eher rückläufig.»
Der Vater wird heutzutage also Papa genannt – nicht Stefan, Dominik oder Lukas.