Klimawandel: «Heuchelei»-Vorwürfe für Klima-Kleber – haben sie recht?
Die Schweizer Klimaaktivisten führen die Unwetter vom Wochenende auf den Klimawandel zurück – und ernten Kritik. Was stimmt wirklich?
Das Wichtigste in Kürze
- Am Wochenende wütete im Misox GR ein Unwetter. Eine Person starb.
- Klimaaktivisten erklären sich das Ereignis mit dem Klimawandel.
- Ein Experte sagt: Damit haben sie «im Wesentlichen» recht, aber ...
Im Bündner Südtal Misox sorgte am Wochenende ein Unwetter für Zerstörung. Mehrere Bäche führten so viel Wasser, dass sie über Ufer traten und Dörfer mit Geröll, Holz und anderem Material fluteten.
Vier Personen wurden verschüttet – davon konnte nur eine lebendig geborgen werden. Eine Person wurde tot geborgen, zwei werden noch immer vermisst. Auch Teile der Nationalstrasse A13 wurden von den Fluten mitgerissen.
Klimaaktivisten ernten nach Unwetter Kritik
Klimastreik Schweiz hat bereits einen Schuldigen für die Katastrophe gefunden: den menschengemachten Klimawandel.
«Unwetter, wie wir sie zurzeit erleben, sind eine direkte Folge der Klimakrise», schreibt die Organisation auf X. Und fügt hinzu: «Die wird durch Parlament, Bundesrat und Schweizer Banken weiter angeheizt.»
Dafür müssen die Klimaaktivisten ordentlich Kritik einstecken. «Hätten wir mehr gestreikt und geklebt, wäre das nicht geschehen. So heuchlerisch», schreibt ein X-Nutzer. Andere verweisen auf die schweren Hochwasser in den Jahren 1834 bis 1868.
Klimawandel führt zu mehr Ereignissen wie in Misox GR
Aber was stimmt wirklich – sind die Fluten Zufall oder auf den Klimawandel zurückzuführen?
ETH-Klimatologe Reto Knutti erklärt bei Nau.ch, dass die Aussage der Aktivistengruppe «im Wesentlichen» stimmt. «Der menschgemachte Klimawandel führt zu häufigeren und intensiveren Starkniederschlägen.»
Aber: Man könne aber kein einzelnes oder gar dieses Ereignis in einem direkten kausalen Sinn dem Klimawandel zuordnen. «Weil extreme Niederschläge gab es früher ohne Klimawandel auch schon», so Knutti. «Aber mit dem Klimawandel nimmt die Häufigkeit von solchen Ereignissen generell zu.»
«Mehr Menschen und Häuser betroffen als vor Jahrzehnten»
Er betont jedoch: «Die extremen Niederschläge sind nur ein Faktor in der Kette von Regen zu Hochwasser zu Schäden oder Opfern.» Das gesamte Risiko sei mitbestimmt durch die Anzahl Menschen sowie die Art und den Wert der betroffenen Infrastruktur.
Kurz: Wo mehr Menschen leben und wo mehr oder teurere Häuser stehen, ist das Schadensrisiko grösser. Schliesslich gibt es dadurch mehr zu verlieren.
Auch die sogenannte Verwundbarkeit, beispielsweise die Frage, wie gut geschützt und vorbereitet man ist, sei zentral. «Typischerweise sind heute mehr Menschen und Häuser betroffen als vor Jahrzehnten», erklärt Knutti. Denn es sei mehr gebaut worden, teils sogar in kritischen Gebieten.
Er hält fest: «Klima ist also ein wesentlicher, aber nicht der einzige Faktor, der die Auswirkungen bestimmt.» Oft sei es eine ungünstige Kombination von Faktoren, die zu grossen Schäden führt.
«Und jedes Ereignis ist anders. Besonders in den Alpen, wo jedes Tal andere topografische Voraussetzungen, Strassen oder Abflüsse hat.»
«Hochwassergefahr wird steigen»
Auch Hydrologe Rolf Weingartner sagt: Der Ablauf eines Hochwassers hängt nicht nur von der Niederschlagsmenge ab. «Insbesondere die sogenannte Vorgeschichte spielt eine Rolle», sagt der pensionierte Professor der Universität Bern. «Also beispielsweise, ob die Böden beim Einsetzen des Niederschlags schon wassergesättigt sind.»
Die wassergesättigten Böden waren auch am vergangenen Wochenende im Wallis ein Problem. Die hohen Niederschlagsmengen konnten nicht mehr aufgenommen werden, Flüsse traten über die Ufer. Das beliebte Feriendorf Zermatt wurde in der Folge überschwemmt.
Weingartner warnt: «Die Starkniederschläge werden weiter zunehmen, die Hochwassergefahr wird steigen.» Denn warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen und transportieren.
Knutti rechnet anhand des Beispiels der Schweiz vor: «Mit über 2,5 Grad Erwärmung gibt das in der gleichen Wetterlage heute schon 15 bis 20 Prozent mehr Wasser. Und das kann der Unterschied sein, ob ein Fluss über die Ufer tritt oder nicht.»