Künstliche Intelligenz beeinflusst bald ganze Kriege – Experte warnt
Menschen, die sich durch Künstliche Intelligenz radikalisieren, und ganze Kriege, deren Verlauf von Chatbots geprägt wird. Science-Fiction? Keineswegs.
Das Wichtigste in Kürze
- Je nach Sprache liefert ChatGPT verschiedene Angaben zu Opferzahlen in Kriegen.
- Diese Art der Desinformation durch KI hat schon heute weitreichende Folgen auf Konflikte.
- In Zukunft könnte Künstliche Intelligenz Einfluss auf ganze Kriegsverläufe nehmen.
Ein Experte warnt: Anwendungen wie ChatGPT könnten durch falsche Informationen zukünftig den Verlauf von ganzen Kriegen mitbestimmen. Schon heute stiftet Desinformation zu Mord und Totschlag an.
Aber von Anfang an.
Eine neue Untersuchung belegt, dass ChatGPT bei Fragen zum Nahostkonflikt auf Arabisch deutlich mehr Opferzahlen anführt als auf Hebräisch.
Bei israelischen Luftangriffen in Gaza nennt der Chatbot doppelt so oft zivile Opfer und sechsmal häufiger tote Kinder.
Gleichzeitig greifen immer mehr junge Menschen bei ihrer Informationssuche auf solche KI-Systeme zurück.
Das ist riskant, denn viele vermenschlichen die Maschine – sie halten KI für ein echtes Gegenüber.
KI kann Menschen radikalisieren
Das könnte dramatische Ausmasse annehmen, erklärt Mykola Makhortykh. Er ist auf Künstliche Intelligenz, Politik und Desinformation spezialisierter Postdoktorand bei der Universität Bern.
Makhortykh betont: «Das Szenario, dass sich jemand durch falsche KI-Informationen radikalisiert, halte ich für durchaus realistisch.»
Allerdings sei Radikalisierung nie auf einen einzelnen Faktor wie Desinformation zurückzuführen.
«Sozioökonomischer Status oder Gruppenzugehörigkeit spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle», erklärt der Experte.
Künstliche Intelligenz beeinflusst Meinung schon heute
Künstliche Intelligenz hat auch das Potenzial, die Wahrnehmung und damit auch den Verlauf von Kriegen grundlegend zu verändern. Und das nicht nur theoretisch.
Makhortykh warnt: «KI-generierte Inhalte beeinflussen schon heute die öffentliche Meinung zu Kriegen.»
Als Beispiel führt er den Krieg in der Ukraine an.
Dort sollen KI-generierte Deepfakes gezielt Unruhe stiften und die Moral schwächen. «Etwa mit dem Video, in dem Präsident Selenskyj angeblich die Kapitulation verkündet.»
Ein weiteres Beispiel liefert der Konflikt im Gazastreifen: «Es gab viele virale, KI-generierte Bilder, beispielsweise das mit der Nachricht ‹All Eyes On Rafah›, das millionenfach geteilt wurde.»
Maschinelle Desinformation kann Konflikte schüren
Wie sieht es mit der Zukunft aus? Kann Künstliche Intelligenz tatsächlich Konflikte massgeblich beeinflussen?
«Das halte ich für ein realistisches Szenario», meint Makhortykh. Er verweist auf bekannte Fälle, in denen Desinformation Gewalt auslöste.
Etwa in Indien, wo sie im Mai 2023 im Bundesstaat Manipur ethnische Konflikte schürte.
Das Bild einer ermordeten Frau wurde fälschlicherweise als Meitei-Krankenschwester dargestellt.
Angeblich sei sie von Kuki-Männern vergewaltigt und getötet worden.
Das Foto stammte jedoch aus einem Mordfall, der nichts mit einem Konflikt dieser beiden Ethnien zu tun hatte.
Desinformationen wie diese führten zu massiven Unruhen. 180 Menschen starben, 70'000 wurden verletzt.
Im selben Jahr ergriff die Regierung radikale Massnahmen: Im Nordosten Indiens wurde kurzerhand das Internet abgestellt.
KI einer von vielen Faktoren
Künstliche Intelligenz werde Desinformationen wie diese noch «potenziell überzeugender» machen.
Allerdings schränkt der Experte ein: «Natürlich braucht es immer mehrere Faktoren, damit Gewalt entsteht. Falsche Informationen sind oft nur ein Puzzlestück.»
KI wird «Kriege sicherlich beeinflussen»
Könnte das Ganze so weit gehen, dass intelligente Systeme wie ChatGPT künftig den Kriegsverlauf bestimmen könnten?
«Künstliche Intelligenz wird nicht der einzige bestimmende Faktor sein», erklärt der Experte. «Aber sie wird Kriege sicherlich beeinflussen.»
Konkret würden Wahrnehmung der Menschen von Gewalt-Ursachen, Kriegsverlauf und sogar die Erwartungen an ihre Rolle im Krieg manipuliert.
Besonders heikel sei zudem, wie smarte Algorithmen die Erinnerung an Kriege prägen könnte. «Schon jetzt sehen wir, dass Künstliche Intelligenz Fakten und Beweise verzerren kann.»
Das werde einen entscheidenden Einfluss darauf haben, wie kommende Generationen über heutige Konflikte informiert werden.
Schweizer lassen sich von KI-Chatbots nicht beirren
Immerhin: «Gerade mal zwei Prozent der Schweizer greifen auf KI-Tools wie ChatGPT zurück, etwa um sich über Volksabstimmungen zu informieren.»
Das zeigt eine Studie, an der Makhortykh mitgewirkt hat. Rund ein Viertel setzt hingegen auf Suchmaschinen.
Dennoch nimmt Makhortykh Unternehmen hinter der KI in die Verantwortung: «Diese Firmen könnten und sollten mehr tun, um die Verbreitung von Fehlinformationen aktiv einzudämmen.»