Künstliche Intelligenz gibt Schweizern vor, wie abstimmen
Soll die Schweiz mehr für die Umwelt tun? Und sind Verhüllungen in Ordnung? Um sich eine Meinung zu bilden, nutzen immer mehr Schweizer KI. Das birgt Risiken.
Das Wichtigste in Kürze
- Hunderttausende Schweizer nutzen KI zur Info-Beschaffung bei Volksabstimmungen.
- Dass die KI beeinflusst, was auf dem Abstimmungszettel angekreuzt wird, ist problematisch.
- Die Antworten von Künstlicher Intelligenz sind nämlich oft fehlerbehaftet.
«Was tun bei Weinflecken auf dem Pullover?», «Welche Nährstoffe hat ein Apfel?» oder «Mein Nachbar hört die ganze Zeit laut Musik, was tun?»
Solche Fragen werden immer häufiger nicht mehr Google, sondern KI-Chatbots wie ChatGPT gestellt. Gerade bei jungen Menschen zeigt sich dieser Trend.
Vor Urnengang: So viele Schweizer setzen auf Künstliche Intelligenz
Laut einer noch unveröffentlichten Studie ist KI längst mehr als nur ein Helfer für den Alltag.
Was viele überrascht: Auch bei politischen Themen greifen immer mehr Menschen auf Künstliche Intelligenz zurück. So auch Herr und Frau Schweizer.
Studienautorin Victoria Vziatysheva erklärt im Gespräch mit Nau.ch: «Wir wollten wissen, welche Informationsquellen Schweizerinnen und Schweizer nutzen, um sich auf Volksabstimmungen vorzubereiten.»
Das Ergebnis erstaunt: Zwei Prozent der Befragten gaben an, dass sie hierfür auf KI-Tools setzen. Zwei Prozent – das mag nach wenig klingen.
Doch bei 5,5 Millionen Stimmberechtigten in der Schweiz heisst das aber:
Bei mehr als Hunderttausend Menschen beeinflusst Künstliche Intelligenz, was auf dem Stimmzettel landet.
Vziatysheva hält fest: Die repräsentative Stichprobe sei eine Annäherung an die tatsächlichen Zahlen. Sie sei aber bis zu einem gewissen Grad unpräzise.
Dass sich KI in der Schweiz zunehmend etabliert, zeigt auch eine neue Studie.
KI als Risiko – oder Chance?
Problematisch wird es, wenn KI Desinformationen als Wahrheit verkauft.
Denn Chatbots wie ChatGPT schöpfen ihr Wissen aus riesigen Datenbanken – und diese sind nicht immer fehlerfrei.
Beispielsweise liefert der Chatbot je nach Spracheinstellung andere Opferzahlen von Kriegen.
Besonders bei nischenspezifischen Themen seien Fehler keine Seltenheit, betont Mykola Makhortykh, Postdoktorand und Experte für KI und Desinformation: «Oft basieren die Antworten auf ungenauen oder veralteten Informationen.»
Der Forscher warnt auch vor gezielter Manipulation.
«Es gibt auch Fälle, in denen KI bewusst für Propaganda programmiert wird. Trotzdem vertrauen viele Nutzer diesen Systemen blind.»
Warum? Makhortykh hat eine Erklärung: «Die Menschen neigen dazu, die Maschine zu vermenschlichen. Sie sehen in ihr ein intelligentes Gegenüber – und das kann trügerisch sein.»
Das kann so dramatische Ausmasse annehmen, dass Künstliche Intelligenz ganze Kriege beeinflusst.
Noch in den Kinderschuhen – aber nicht mehr lange
Aktuell scheint die politische Nutzung von Künstlicher Intelligenz noch überschaubar.
Die meisten experimentieren laut Vziatysheva lieber mit alltäglichen Anwendungen wie E-Mail-Formulierungen oder dem Zusammenfassen von Texten.
Doch das könnte sich bald ändern.
Schon jetzt greifen rund 20 Prozent der Befragten bei Abstimmungsthemen auf Suchmaschinen zurück.
Bei allgemeinen politischen Fragestellungen liegt der Wert sogar bei 88 Prozent.
«Was viele nicht wissen: Suchmaschinen wie Google nutzen schon lange KI. Doch bisher ordnet diese bestehende Informationen lediglich ein – etwa durch die Anordnung oder Personalisierung von Suchergebnissen.»
Künftig würden, so Vziatysheva, Google und andere Anbieter aber immer mehr auf generative KI setzen.
«Das revolutioniert, wie wir Suchmaschinen nutzen. Sie werden uns nicht nur Informationsquellen anzeigen, sondern auch eine direkte Antwort auf unsere Frage formulieren.»
Doch was genau ist «generative» Künstliche Intelligenz?
Ein bildhaftes Beispiel: Wer fragt, «was hilft gegen Husten?», erhält bisher Links zu diversen Artikeln.
Eine generative KI hingegen durchsucht aktuelle Studien, analysiert die besten zehn und liefert eine klare Antwort:
«Kamillentee mit Honig und eine Inhalation mit Lavendelöl gelten laut neuesten Erkenntnissen als besonders wirksam. Mögen Sie den Geruch von Lavendel nicht? Dann suche ich gerne nach wirksamen Alternativen.»
Alteingesessene Quellen weiterhin stark
Und was ist mit traditionellen Informationsquellen? Gute Nachrichten für die Demokratie:
Über 70 Prozent der Befragten verlassen sich weiterhin auf das Abstimmungsbüchlein der Regierung.
Freunde und Familie folgen mit 66 Prozent, während 57 Prozent auf Zeitungen und Zeitschriften setzen.
Politische Fernsehsendungen hingegen haben das Nachsehen: Nur noch knapp 55 Prozent der Befragten schenken der «Rundschau» und Co. noch ihr Vertrauen.
Ein Blick in die Zukunft
Wie wird sich die Rolle der KI weiterentwickeln?
Vziatysheva bleibt nüchtern optimistisch: «Die Technologie ist ein mächtiges Werkzeug.
Die Herausforderung liegt darin, ihre Risiken zu minimieren und das Vertrauen der Menschen in verlässliche Informationen zu stärken.»