Mädchen hauen: Ist dieser Schweizer Silvesterbrauch noch zeitgemäss?
In Laupen BE steht heute das traditionelle «Achetringele» an. Nebst dem mystischen Umzug sorgt vor allem die anschliessende Hatz auf Mädchen für Diskussionen.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei einem Schweizer Silvesterbrauch werden Mädchen von Buben mit Rindsblasen geschlagen.
- Eine Expertin kritisiert Traditionen wie diese als sexistisch und frauenfeindlich.
- Ein OK-Mitglied beteuert: «Das macht nicht weh und ist nicht problematisch.»
Mit furchterregenden Masken und lautem Glockengeläut werden hier die bösen Geister aus dem Städtchen vertrieben!
Am Silvesterabend findet in der Berner Gemeinde Laupen das «Achetringele» statt. Der Umzug, der auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgeht, steht ganz im Zeichen der Dämonenvertreibung.
Maskierte Figuren und Blasen- und Besenmänner mit Rindsblasen prägen das Spektakel, das jährlich Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer anzieht.
Nach dem Umzug beginnt dann eine Hatz mit diesen Rinderblasen: Die Laupener Buben schnappen sich eine der Blasen und dreschen auf Mädchen ein.
Wie bitte?
Was nach Gewalt klingt, soll in Wirklichkeit ein Zeichen von Zuneigung sein. Nau.ch ist am Vortag bei den Vorbereitungsarbeiten dabei – und geht dem Brauch auf den Grund.
OK-Mitglied Léa Chardonnens (21), die seit Kind mit dabei ist, sagt im Interview mit Nau.ch: «Das passiert erst am Schluss – wer bis dann bleibt, will das auch», erklärt sie.
«Tradition ist flexibel und absolut zeitgemäss»
«Die Männer und Buben gehen zu jenen Mädchen, die sie seit der Schulzeit im Auge hatten. Um ein Zeichen von ‹ich habe dich gern› zu signalisieren», so Chardonnens.
Weil die Mädchen eine dicke Winterjacke tragen, tut der Schlag mit der Rinderblase auch nicht weh. «Wichtig ist, dass man sich gut bückt und die Hände an den Kopf hält, damit der Kopf nicht getroffen wird.»
Inzwischen dürfen auch Mädchen mithauen. Dass aber Laupener «Giele» gehaut werden, sei aber noch eine Seltenheit.
Dafür hat sich der Brauch aber in einem anderen Punkt gewandelt. Seit einigen Jahren gibt es auch Besen- und Blasenfrauen. «Dadurch ist die Tradition flexibel und absolut zeitgemäss», sagt das OK-Mitglied.
Expertin hält Tradition für «höchst problematisch»
«Nichts» von dieser Tradition hält hingegen Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt.
Auf Anfrage von Nau.ch erklärt sie: «Ich finde sie wie alle sexistischen und frauenfeindlichen Traditionen und Bräuche höchst problematisch. Da sie die bestehenden Machtverhältnisse reproduzieren, Gewalt gegen Mädchen oder Frauen verharmlosen und verschleiern und dadurch legitimieren.»
Lavoyer führt aus: «Frauen zu jagen, ihnen Angst einzuflössen. Sie gar zu schlagen unter dem Deckmantel eines ‹Brauches› oder einer ‹Tradition›, zeigt schliesslich den Status quo in unserer Gesellschaft: Es ist normalisiert und legitim, dass Männer Frauen Gewalt antun.»
Diese Gewalt sei ein Instrument, um die bestehenden Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. «Und weil ‹Boys will be boys›, ‹war schon immer so›, ‹Tradition!» wird die Gewalt toleriert, gar unterstützt und dadurch eben normalisiert.»
Das bezeichnet die Expertin als «sehr gefährlich und problematisch».
Frauen-Verhau-Tradition in Deutschland sorgte für Empörung
Dazu kommt: Kürzlich sorgte in Deutschland kürzlich eine Frauen-verhauen-Tradition für Empörung. Einem Reporterteam ist es gelungen, heimliche Aufnahmen vom «Klaasohm»-Brauch auf der Nordseeinsel Borkum zu machen.
Männer in Masken halten dabei Mädchen und Frauen fest. Mit voller Kraft schlagen sie dann mit einem Kuhhorn auf den Po. Nach einer Welle der Empörung und Protesten von Frauen kündigten die Veranstaltenden an, den Brauch des Schlagens abzuschaffen.
Die Tradition in der Schweiz ist damit nicht zu vergleichen. Léa Chardonnens sagt dazu: «Unsere Rindsblasen sind kein harter Gegenstand und tun nicht weh – sie sind mit Luft gefüllt.»
Zudem ist die Tradition als Kompliment für die Mädchen zu verstehen. «Man schlägt nicht aus Ärger oder Gewalt», betont sie.
Wer sich selbst ein Bild vor Ort machen will, kann dies heute Abend in Laupen tun. Um 20 Uhr findet der Umzug zum 101. Mal statt. Geld wird für das Spektakel keines verlangt – der Anlass finanziert sich aus Spenden und Beiträgen von Sponsoren.