Mangel: In der Schweiz praktizieren drei 90-jährige Psychiater

Antun Boskovic
Antun Boskovic

Zürich,

Der Bedarf an Psychiatern hat in der Schweiz zugenommen. Gleichzeitig wird ihr Durchschnittsalter immer höher. Der Mangel an Nachwuchs hat seine Gründe.

Psychiater
In der Schweiz gibt es zu wenig Psychiaterinnen und Psychiater. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • 2023 waren 27,5 Prozent der in der Schweiz tätigen Psychiater über 65 Jahre alt.
  • 2009 lag ihr Anteil noch bei 13,4 Prozent.
  • Ein Problem ist, dass der Beruf finanziell nicht attraktiv genug ist.

Im Schweizer Gesundheitsbereich gibt es einen akuten Fachkräftemangel. So fehlt es an allen Ecken und Enden an Fachärztinnen und Fachärzten, Pflegefachkräften oder Apothekerinnen und Apothekern.

Doch auch die Situation um Psychiaterinnen und Psychiater sieht nicht gut aus. Der Fachkräftemangel ist laut Jörg Leeners, Chefarzt der Integrierten Kinder- und Jugendpsychiatrie Uri, Schwyz und Zug (Triaplus), massiv. Und es werde noch viel schlimmer, wie er gegenüber dem «Tagesanzeiger» erklärt.

Die Behandlungen durch Psychiater hätten von 2003 bis 2019 bereits um 24 Prozent zugenommen. Bei unter 19-Jährigen sei die Zahl der Behandlungen in den letzten sechs Jahren sogar um 75 Prozent gestiegen. «Ich habe mein Personal in den letzten vier Jahren praktisch verdoppelt. Und trotzdem haben wir Wartelisten», sagt Leeners.

Ein Viertel der Psychiater ist über 65 Jahre alt

Während also die Nachfrage zunimmt, steigt auch das Durchschnittsalter der in der Schweiz praktizierenden Psychiaterinnen und Psychiater. So waren bereits 2009 13,4 Prozent älter als 65. Ihr Anteil ist bis 2023 auf 27,5 Prozent gestiegen.

Über 90 der praktizierenden Ärzte seien 80-jährig oder älter. Drei davon sind sogar über 90 Jahre alt!

Es herrscht ein Nachwuchsproblem: In den letzten Jahren hätten etwas weniger Ärztinnen und Ärzte den Facharzttitel Psychiatrie abgeschlossen.

«Wir finden keine Kaderärztinnen oder Kaderärzte mit Facharzttitel», sagt Rafael Traber der Zeitung. Er ist Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP).

Das führt unter anderem zu einer regionalen Unterversorgung. So praktiziert in den beiden Appenzeller Kantonen aktuell kein einziger Psychiater.

Finanzieller Anreiz für Nachwuchs fehlt

Ein wichtiger Grund für den Mangel: Es fehlt der finanzielle Anreiz. Der durchschnittliche Jahreslohn eines Vollzeit-Psychiaters mit Privatpraxis lag 2022 bei 176'000 Franken. Kinder- und Jugendpsychiater verdienten mit 141'000 sogar deutlich weniger. Zum Vergleich: Orthopäden und Kardiologen kassierten im Schnitt über 400'000 Franken.

Eine Massnahme, welche die SGPP fordert, sind mehr Ausbildungsplätze. Auch wenn es laut Traber keine Garantie gebe, dass mehr Medizin-Studenten das Fachgebiet Psychiatrie wählen würden. Er schlägt vor, dass man wie in Italien festlegen könnte, wie viele angehende Mediziner zu einer Fachrichtung zugelassen werden.

Warst du schon einmal beim Psychiater oder der Psychiaterin?

Weitere Forderungen von Experten: Mehr Netzwerke mit verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten, die zusammen einen Versorgungsauftrag hätten. Oder etwa die Betreuung durch Peers – Menschen, die selbst krank waren und denen es heute deutlich besser geht. Beides solle zur Entlastung beitragen.

Gemäss Traber muss der Beruf aber auch finanziell attraktiver werden, «um junge Ärzte anzuziehen». So seien die heutigen Arzttarife trotz einiger Anpassungen immer noch nachteilig für das Gebiet.

Gemäss Leeners verdiene man an ambulanten Behandlungen – die viele benötigen – nicht gut genug. Dabei spare eine gute psychiatrische Behandlung den Experten zufolge etwa der Wirtschaft Geld. Dies, weil weniger Arbeitskräfte ausfallen würden. Doch gleichzeitig stehe die Politik wegen der hohen Gesundheitskosten unter Druck.

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Kommentare

User #4287 (nicht angemeldet)

Heute wird übertherapiert. Wieviele Psychiater sich nur mit Knastis beschäftigen. Weil Kinder nicht erzogen werden, müssen die auch zum Psychiater etc.

User #4240 (nicht angemeldet)

Wenn sie noch gut im Kopf sind.., ist doch wunderbar

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