Normalos finden dank Knast-Tinder «Häftling fürs Leben»
In den USA findet man über Plattformen den «Häftling fürs Leben». Auch in der Schweiz kann man Brieffreundschaften mit Gefangenen eingehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Verschiedene Plattformen stellen den Kontakt zwischen Gefangenen und der Aussenwelt her.
- Besonders beliebt sind Brieffreundschaften, aus denen enge Verbindungen entstehen können.
- Auch in der Schweiz wird vom Angebot rege Gebrauch gemacht.
Eine Brieffreundschaft ist eine schöne Sache. Schriftlich kann man mit Menschen aus der ganzen Welt in Verbindung sein und bleiben. Man kann langjährige Beziehungen pflegen oder neue Menschen kennenlernen.
Und man kann Brieffreund werden von ... Häftlingen! In den USA ist diese Idee weit verbreitet. Auf einer Website können sich Interessierte «ihren» Gefangenen nach verschiedenen Kriterien aussuchen.
Alter, Geschlecht, Art des Delikts: Alles in praktischer Form aufgelistet. Illustriert mit einem Foto der inhaftierten Person. Sogar nach dem ethnischen Hintergrund lässt die Webseite Interessierte filtern.
Quasi ein «Knast-Tinder». Im deutschsprachigen Raum gibt es ein ähnliches Angebot. Auf der Plattform «Jail-Mail» stellen sich Gefangene vor, die den Kontakt nach draussen suchen. Ohne Foto allerdings, über die Art des begangenen Verbrechens gibt es ebenfalls keine Infos.
Ehen und Kinder
Eigentlich ist die Plattform offiziell nicht fürs Dating gedacht, betont Lea Stolzenberg, die das Projekt betreibt: «Jail-Mail ist keine Dating- oder Partnervermittlung. Bei dem Projekt soll es nur um die Vermittlung von platonischen Brieffreundschaften gehen.»
Doch ein Blick auf die Webseite zeigt: Ein Grossteil der männlichen Schweizer Insassen sucht spezifisch eine weibliche Brieffreundin. Einer beschreibt sogar sein Äusseres im Detail und betont, wie gerne er Sex hat.
«Ich bin 183 Zentimeter gross und 93 Kilo», schreibt er. Und: «Im Grossen ganzen bin ich ein Gentleman, obwohl ich auch versaut sein kann.» Ein anderer erwähnt, in seinem Hafturlaub offen für Treffen zu sein.
Und tatsächlich entstehen so nicht nur Freundschaften. Das zeigte kürzlich das Beispiel der deutschen Reality-Darstellerin Lorra Sophie: Sie hat einen US-Häftling in einem schwedischen Knast geheiratet.
Ihr Mann sitzt seit vier Jahren wegen Mordes hinter schwedischen Gardinen. Er verkaufte einer Frau Drogen, die danach starb. Kennengelernt haben sich der Star und der Häftling durch genau so eine «Knast-Tinder»-Seite.
Auch die deutschsprachige Plattform Jail-Mail, über die man auch Schweizer Häftlinge kennenlernen kann, brachte schon Pärli zusammen. Lea Stolzenburg, die das Projekt betreibt, erzählt bei Nau.ch von einer inhaftierten Frau, die ihren späteren Ehepartner so kennengelernt hat. Nach ihrer Entlassung gründete sie mit ihm gar eine Familie.
«Engere Beziehungen»
Teilweise gibt es sogar Besuchsmöglichkeiten. Kriminologe Dirk Baier nennt hier das Beispiel von «team72». Rund 180 Straffällige werden im Kanton Zürich pro Jahr durch das Projekt von Freiwilligen besucht.
«Bei solchen Besuchen sind engere Beziehungen entstanden», weiss Baier. Nicht unbedingt Freundschaften, «denn diese sind nicht das Ziel solcher Programme». Es gehe um Kontakte mit der Aussenwelt, um den Anstoss, sich mit sich auseinanderzusetzen.
Wer eine Brieffreundschaft mit einem Häftling beginnt, macht dies in erster Linie für einen guten Zweck. Und hilft ihm im Idealfall bei der Reflexion, betont der Experte.
Die Einsamkeit durchbrechen
Es gehe in erster Linie darum, die Einsamkeit von Gefangenen abzumildern. «Inhaftierte sind an allen Angeboten interessiert, die Abwechslung in ihren Alltag bringen», sagt Baier.
Hinsichtlich der Wirkung solle man solche Angebote aber nicht überschätzen, meint Baier. «Es interessieren sich vor allem Inhaftierte dafür, die grundsätzlich offener und reflektierter sind.» Diesen könne eine Brieffreundschaft mit der Aussenwelt durchaus helfen.
Denn der Gefangene müsse sein eigenes Tun reflektieren. «Er muss überlegen, was er von sich preisgibt.» Ein einmaliges Briefschreiben kann eine solche Reflexion nicht auslösen – eine längere Brieffreundschaft könne mehr ausrichten.
Daher sind solche Brieffreundschaften auch von den Verantwortlichen im Justizvollzug gerne gesehen. «Prosoziale Kontakte können Straftäterinnen und Straftäter nach ihrer Entlassung beim Prozess der Wiedereingliederung unterstützen», sagt eine Sprecherin der JVA Zürich.