Oberste Hebamme kritisiert Fachleute wegen «zu viel» Kaiserschnitten

Dominik Neuhaus
Dominik Neuhaus

Zürich,

Zu viele Kaiserschnitte, Personalmangel, schlechte Betreuungsqualität: Die oberste Hebamme der Schweiz übt Kritik an den Zuständen in den Geburtskliniken.

kaiserschnitt
Ungefähr ein Drittel der Babys in der Schweiz kommen per Kaiserschnitt zur Welt. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Frauen gebären ihr Kind per Kaiserschnitt, obwohl sie dies eigentlich nicht wollen.
  • Die Betreuung der Mütter in den Spitälern ist schlecht – es fehlt an Personal.
  • Negative Erlebnisse bei der Geburt können bei Frauen zu Depressionen führen.

Der Anteil der Frauen, die ihr Kind per Kaiserschnitt gebären, liegt in der Schweiz seit Jahren bei über 30 Prozent. «Das sind zu viele», sagt die Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbandes, Barbara Stocker, gegenüber «Schweiz am Wochenende».

Ursprünglich seien Kaiserschnitte nur in Notfällen durchgeführt worden, so die 56-Jährige. «Das hat sich seit dem Beginn der 2000er-Jahre völlig verändert.»

Würdest du dein Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen?

Das Problem: Viele Frauen wollen die Kaiserschnittgeburt eigentlich gar nicht. In einer 2020 veröffentlichten Umfrage der Berner Fachhochschule wünschten sich nur sechs Prozent der befragten Frauen einen Kaiserschnitt.

Die grosse Diskrepanz kommt laut Barbara Stocker daher, dass Fachleute die werdenden Mütter unter Druck setzen. Diese würden die «Tote-Kind»-Karte spielen: Oft werde den Frauen nämlich gesagt, der Verzicht auf bestimmte Eingriffe könne dem Kind schaden. «Damit lässt sich jede schwangere Frau überzeugen.»

Für die Aargauerin ist eine gute Aufklärung wichtig. Dies bedeute, «über Diagnosen, Behandlungsoptionen, deren Risiken und Nebenwirkungen evidenzbasiert zu informieren. Werdende Eltern können ihre Entscheidungen dadurch auf wissenschaftliche Beweise und Fakten stützen».

Hebammen sind am Anschlag – Fachleute haben keine Zeit

Stocker nennt noch ein weiteres gravierendes Problem: «Die Zustände in den Spitälern.» Die Fachleute hätten keine Zeit – die Betreuungsqualität sei teilweise schlecht.

Wie an vielen anderen Orten macht der Fachkräftemangel auch vor der Geburtshilfe nicht halt: «Nicht nur die Pflege ist am Anschlag», sagt Barbara Stocker. «Auch die Hebammen. Ihre Stellenpläne sind so eng berechnet, dass sie teilweise von Frau zu Frau rennen und priorisieren müssen.»

Die oberste Hebamme der Schweiz erklärt, welche Folgen die schlechte Betreuungsqualität hat: «Etwa jede sechste Frau in der Schweiz erleidet nach der Geburt eine postpartale Depression», sagt sie. «Negative Erlebnisse bei der Geburt können dafür ein Auslöser sein.»

Stocker betont gegenüber Nau.ch: «Hebammen bemühen sich, eine gute Geburtshilfe anzubieten.» Sie möchte werdende Eltern «ermutigen, sich im Vorfeld der Geburt gut zu informieren und verschiedene Orte anzuschauen.» Und: «Hebammen beraten gerne und informieren über Geburtsorte und Betreuungsmöglichkeiten. Nur auf die Hochglanzprospekte der Kliniken sollte man sich nicht verlassen. Es braucht kritische Fragen.»

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