Organspende

Organspende: Wie viele Punkte «kostet» eine neue Niere?

Nadine Brügger
Nadine Brügger

Liestal,

Die Niere von Sandra Christen arbeitet noch 11 Prozent. Sie braucht dringend ein Spenderorgan. Doch keines passt.

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Sandra Christen im Nau-Interview - Nau

Das Wichtigste in Kürze

  • Wenn die Nierenfunktion unter 10 Prozent absinkt, wird es lebensgefährlich.
  • Dann braucht der Patient dringend ein Spender-Organ oder muss an die Dialyse (Blutwäsche).
  • Die Nierenfunktion von Sandra Christen beträgt noch 11 Prozent. Kein Organ passt. Was nun?

In diesem Sommer wird Sandra Christen 50 Jahre alt. Ein grosses Fest soll es zu diesem Geburtstag geben. Mit der Familie und mit Freunden. Mit Wein und gutem Essen. Eine Feier für das Leben. Denn Christen weiss, es ist nicht selbstverständlich: Sie hat eine Zystenniere und braucht dringend ein Spenderorgan.

Zystennieren sind die häufigste lebensbedrohliche Erbkrankheit beim Menschen. Dabei produziert die Niere mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen, Zysten eben. Die Bläschen verschlechtern die Filterfunktion erheblich und lassen die Niere anschwellen.

Die Zystenniere und die Dialyse

Wie die Krankheit verläuft, hat Christen bei ihrem Vater beobachten können: Die Niere verrichtet ihre Arbeit – das Reinigen des Blutes – immer schlechter und schliesslich gar nicht mehr. Medikamente gibt es keine. Wenn die Nierenfunktion unter 10 Prozent fällt, muss das Blut von einer Maschine, der Dialyse, manuell gewaschen werden. Sonst vergiftet der Körper sich.

Dreimal wöchentlich müssen Patienten für durchschnittlich vier Stunden an die Dialyse angeschlossen werden, damit die Maschine in dieser Zeit erledigen kann, was eine gesunde Niere vorneweg erledigt. Zusätzlich müssen die Patienten auf ihre Ernährung achten.

Salz und viele andere Stoffe sind schädlich. Eine Flasche Wasser trinken, bis der Durst weg ist, gehört dann der Vergangenheit an. Denn auch die Wasserablagerungen im Körper kontrolliert die Niere. Das Wasser muss jeden zweiten Tag von der Dialyse gezogen werden. Ein unangenehmer Prozess.

Krank sieht anders aus

«Totkrank» ist definitiv nicht das Attribut, mit dem man Sandra Christen beschreiben würde. Sportlich sieht sie aus, elegant und – gesund. «Das ist das Problem bei einer Krankheit wie meiner – man sieht sie nicht.» Auch spüren kann man sie kaum. Müde sei sie öfter. Dazu kommt Atemnot, wenn sie mit ihren Freundinnen Walken geht. Grösstenteils aber schleicht die Krankheit symptomlos voran. Bis die Nierenfunktion irgendwann unter die Lebens-Limite von 10 Prozent fällt. Sandra Christens Nieren haben aktuell eine Funktion von 11 Prozent.

«Es ist ein Warten auf Messers Schneide», sagt Nieren-Patientin Sandra Christen.
«Es ist ein Warten auf Messers Schneide», sagt Nieren-Patientin Sandra Christen. - nau.ch

Heilung ist nur mit einer neuen Niere möglich. Transplantation also. Damit ein Spenderorgan angenommen werden kann, muss die Blutgruppe stimmen. Zudem sollten möglichst wenig Antikörper im Blut vorhanden sein. Denn je mehr davon es gibt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Körper das neue Organ abstösst.

Krieg der Antikörper

Antikörper werden gebildet, wenn ein Patient eine Bluttransfusion bekommt – oder wenn eine Frau schwanger wird. Christen hat drei Kinder – sie sind ihr grösstes Glück. Und ein triftiger Grund dafür, dass sie als «schwer vermittelbar» gilt.

Christens Körper hat wegen der drei Schwangerschaften so viele Antikörper gegen ihren Mann gebildet, dass sie seine Niere nicht mehr annehmen kann. Die Mutter hat ihre zweite Niere längst vergeben: An den Vater, von dem Christen ihre Krankheit geerbt hat. Auch die Geschwister passen nicht, ebensowenig enge Freunde, die sich haben testen lassen.

Erblichkeit bei 50/50

«Wir lassen uns testen», haben Christens drei Kinder unisono erklärt. Doch das will sie nicht. «Sie sind noch jung, sie haben das ganze Leben noch vor sich, sie sollen ihre Niere behalten», sagt sie. Ausserdem liegt die Chance, dass die Kinder die gleiche Krankheit von ihr geerbt haben, bei 50 Prozent. Testen lassen haben die drei sich nicht. Die Ärzte drängen auch nicht dazu. Tun könne man ja doch nichts.

Seit Oktober steht Christen nun auf der Warteliste für eine Totspende. Das Wissen darum, dass ein anderer Mensch sterben muss, damit sie eine Chance auf das Leben bekommt, sei befremdend. «Aber schuldig fühle ich mich nicht. Diese Person wird ja nicht meinetwegen sterben», sagt Christen.

Jeder Tag, der ohne neue Niere vergeht, wird ihr auf der Warteliste gutgeschrieben. Bis zu fünf Jahren warten gelistete Patienten auf ein Organ. Ob der Körper es dann annimmt, wenn es endlich kommt, bleibt abzuwarten.

Punkte sammeln

Sobald ihre Nierenfunktion unter die Limite von 10 Prozent fällt, muss Christen an die Dialyse. Essen was sie will, reisen wohin sie will – alles nicht mehr möglich. Dafür gelten die Tage ab dem ersten Dialyse-Besuch doppelt: Während der Alltag eingeschränkt wird, klettert ihr Name auf der Liste nun schneller hoch. Wer zuoberst steht, bekommt die nächste Niere. Wenn sie passt. Doch die bange Frage bleibt: Wird überhaupt irgendwann eine Niere gespendet, die passt? Und was, wenn nicht?

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