ÖV-Betriebe sollen mehr gegen Belästigung machen
In öffentlichen Verkehrsmitteln kommt es immer wieder vor, dass Männer Frauen belästigen. Unternehmen die ÖV-Betriebe genug dagegen?
Das Wichtigste in Kürze
- Immer wieder kommt es vor, dass Frauen im ÖV – in Bus, Zug und Tram – belästigt werden.
- Sie werden angesprochen, gestalkt, manchmal sogar verfolgt – und fühlen sich unwohl.
- Dagegen könnten ÖV-Betriebe mehr tun, findet eine Frauenrechtsorganisation.
Dienstagmorgen in der Berner Agglo. Es ist kurz vor 7 Uhr, die 21-jährige Nau.ch-Leserin Louise C. fährt mit dem Bus zur Arbeit.
Ein etwa 40 Jahre alter Mann steigt ein und setzt sich neben sie. So weit, so normal. Doch dann sucht er das Gespräch. Als sie nicht antwortet, tippt er sie sogar am Arm an.
Louise entscheidet sich, schon zwei Stationen früher aufzustehen und an der Tür zu warten. Zwar folgt ihr der Mann nicht, beobachtet sie aber penetrant. Der jungen Frau ist die Situation unangenehm, doch früher aussteigen will sie nicht.
Wie Louise geht es im ÖV auch anderen Frauen. Sie werden bedrängt, angestarrt und fühlen sich belästigt. Nach dem Aussteigen werden sie zum Teil verfolgt.
Männer starren auf die Handys der Frauen, um deren Instagram-Namen zu erfahren und sie später zu stalken. Manchen werden auch ungefragt Liebesbriefe zugesteckt. Für viele eine grenzüberschreitende Erfahrung.
In der deutschen Hauptstadt Berlin ist das Problem so gross, dass man mit dem Gedanken spielt, Frauenwaggons im ÖV anzubieten. Denn: Immer mehr Frauen hätten sich abends nicht mehr getraut, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
ÖV ein «Schauplatz geschlechterbezogener Gewalt»
Ein Problem, findet auch die Organisation «Brava – ehemals Terre des Femmes Schweiz», die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzt. Die Verantwortlichen Beratung, Tea-Vanja Radovanac und Rozë Berisha gegenüber Nau.ch: «Der öffentliche Verkehr ist ein Schauplatz geschlechtsbezogener Gewalt.»
Sie kritisieren: «ÖV-Betriebe könnten eine aktivere Rolle übernehmen. Beispielsweise, indem sie durch Kampagnen das Bewusstsein für geschlechtsbezogene Gewalt, Sexismus und Zivilcourage stärken.»
Geschlechtsbezogene Gewalt, wie auch die damit verbundene Verantwortung seien gesamtgesellschaftlich, erklären Radovanac und Berisha: «Augenzeugen und Augenzeuginnen sollten sich sicher und ermutigt fühlen, Betroffenen beizustehen, ohne ihre eigene Sicherheit zu gefährden.»
ÖV-Personal bräuchte Schulung
«Tatpersonen sollen angesprochen und ihnen signalisiert werden, dass sexualisierte Gewalt nicht toleriert wird», so Radovanac und Berisha weiter.
Ob und wie sehr ÖV-Personal im Umgang mit sexualisierter Gewalt geschult werde, sei ihnen nicht bekannt. Aber: «Wir erachten dies als entscheidend. Mitarbeitende sind so in der Lage, Konflikte zu entschärfen und Betroffene professionell zu unterstützen.»
Nau.ch hat bei grossen ÖV-Betrieben nachgefragt: Wie schützen sie ihre Kundinnen vor ungewünschten Annäherungsversuchen?
ÖV-Betriebe kennen das Problem
Zahlen zu grenzüberschreitenden Situationen in ihren Verkehrsmitteln haben die ÖV-Unternehmen nicht. Das lassen sowohl SBB und BLS, als auch Bernmobil und die Zürcher und Basler Verkehrsbetriebe verlauten.
Dass es im ÖV zu solchen Situationen komme, sei aber bekannt, auch wenn man keine Zahlen nennen könne. Bernmobil und die Verkehrsbetriebe Zürich verweisen auf die städtischen Kampagnen «Bern schaut hin» und «Zürich schaut hin».
Auch die Verkehrsbetriebe Basel verfügen mit «BVB Karma Rider» über eine Präventionskampagne. Solche Projekte seien wichtig, meinen die Verantwortlichen Beratung von «Brava – ehemals Terre des Femmes Schweiz». Doch das reiche nicht. Ein schweizweiter Ausbau wäre «wünschenswert».
Videoüberwachung und Konfliktschulungen
Doch wie sieht es mit Schulungen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt aus? Werden solche durchgeführt?
Ja, sagen die Verkehrsbetriebe Zürich. Zudem seien weitere Sensibilisierungsschulungen geplant.
Auch bei der BLS wird sensibilisiert: «Unser Personal ist dafür ausgebildet, bei Kontrollen verdächtige oder heikle Situationen zu erkennen und deeskalierend einzugreifen. Dafür werden im Training verschiedene Szenarien geübt. Diese basieren auf den konkreten Erfahrungen in unseren Zügen, also beispielsweise auch Fällen von sexueller Belästigung.»
Zudem würden allfällige Strafverfahren durch Herausgabe der Videoaufzeichnungen aus den Zügen unterstützt, sagt die BLS. Die Basler Verkehrsbetriebe sagen auf Anfrage: «Unser Fahrdienstpersonal wird zum Thema Gewalt sowohl in der Ausbildung als auch laufend sensibilisiert.»
Die SBB sagt: «Unsere Mitarbeitenden sind in der Deeskalation von heiklen Situationen geschult. Die Befähigung zum Umgang mit schwierigen Situationen ist Teil der Ausbildung und wird perspektivisch auch noch verstärkt.» Bei Vorfällen seien Fahrgäste angehalten, sich an die Transportpolizei zu wenden.