Patienten haben weniger Vertrauen in Ärzte
Die Patient-Arzt-Beziehung ist längst nicht mehr dasselbe wie vor 50 Jahren. Das Vertrauen habe abgenommen, sagt ein Medizinhistoriker.
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Das Wichtigste in Kürze
- Das Verhältnis zwischen Patient und Arzt hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt.
- Heute wollen Patienten mehr Mitspracherecht und mehr Informationen.
- Gesundheit wird immer mehr zu einer Ware.
Wer in der Schweiz Arzt oder Ärztin werden will, muss hierzulande eine lange und aufwendige Ausbildung absolvieren. Nach sechs Jahren Medizinstudium folgen noch mindestens fünf Jahre Assistenzzeit.
Trotz dieser ausführlichen Ausbildung nimmt laut Umfragen das Vertrauen von Patienten zu ihren Ärzten in der Schweiz ab.
Denn: Viele fühlen sich falsch behandelt oder nicht ernst genommen.
Vom «Retter» zu einem Verhältnis auf Augenhöhe
Dass sich das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten verändert hat, bestätigt auch Medizinhistoriker Flurin Condrau gegenüber Nau.ch.
Im 19. Jahrhundert sei der Arzt noch als «Retter der leidenden Menschheit» konzipiert worden.
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Heute sehe man eher ein «partnerschaftliches Modell auf Augenhöhe», in dem Patienten grosses Mitspracherecht erhalten. Sie wollen informiert werden, womit Vertrauen laut Condrau seine ursprüngliche Bedeutung verliere.
Also ein Vertrauensverlust.
«Kritische Haltung» hat zugenommen
Monika Reber, Co-Präsidentin des Schweizer Verbands für Haus- und Kinderärzte, will davon aber nichts wissen: «Einen Vertrauensverlust können wir nicht bestätigen.»
Haus- und Kinderärzte würden sogar eher das Gegenteil erleben – insbesondere, wenn eine langfristige Beziehung bestehe.
Reber räumt jedoch ein: «Zugenommen hat sicherlich eine kritische Haltung und der Wunsch nach guter und differenzierter Information und Mitbestimmung.»
«Dr. Google nicht immer der beste Ratgeber»
Das hat auch mit dem Internet zu tun. Dank ihm ist der Zugang zu Informationen – ob richtig oder falsch – leichter denn je.
Dass sich Patienten mit ihrer Gesundheit befassen würden, sei wichtig und richtig, so Reber.
Sie warnt jedoch: «Diese Informationen dürfen professionelle Diagnosestellung und Beratung nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen.»
Denn: «Dr. Google ist nicht immer der beste Ratgeber.»
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Auch Condrau hält fest: «Nicht alles, was im Internet steht, ist auch wahr oder wenigstens wissenschaftlich haltbar. Das zwingt den Arzt heutzutage dazu, dem ‹informierten Patienten› Richtiges vom Unrichtigen zu unterscheiden.»
Patienten nehmen sich als Kunden wahr
Auch durch den wirtschaftlichen Aufbau des Gesundheitssystems verliere Vertrauen immer mehr an Wichtigkeit.
«Unser Gesundheitswesen basiert im Wesentlichen auf Preisen als Steuerungsmechanismen», sagt Condrau.
Die Folge: Patienten würden sich selbst zunehmend als Marktteilnehmer verstehen. Dazu gehöre ein Anspruch auf Mitspracherecht, Forderungen und das Anstreben der bestmöglichen Behandlung.
Das bestätigt auch Susanne Gedamke von der Patientenorganisation Schweiz: Der Arztberuf sei heutzutage vielmehr ein Dienstleistungsberuf. «Manchmal sogar in Richtung ‹Patient als Kunde›.»
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Die Rolle der Patienten würde dadurch gestärkt, was Gedamke positiv findet. Ungünstig sei jedoch, dass «auch viele Fehlinformationen kursieren und die Ansprüche gegenüber medizinischen Dienstleistungen sehr hoch sind.»
Condrau urteilt: «Vertrauen lässt sich im ‹Supermarkt Gesundheit› kaum mehr aufrechterhalten, wenn Gesundheit zu einer ‹Ware› wird.»
Experte: «Vertrauen durchaus wichtig»
Dabei sei Vertrauen eine wichtige Grösse in der wissenschaftlichen Medizin, so Condrau. «Die Verwissenschaftlichung der Medizin im 19. Jahrhundert förderte Konzepte und auch eine Sprache, die vom Patienten nicht mehr verstanden wird.»
Es sei daher oft grundlegendes Vertrauen notwendig, damit der Patient den Ratschlägen des Arztes folgen würde.
Gerade angesichts der hohen Gesundheitskosten in der Schweiz sei ein solches Vertrauen «durchaus wichtig», so der Medizinhistoriker.
Denn: Gute Hausärzte würden auch mal nichts tun, anstatt «jeden Patienten direkt zum Spezialisten oder ins Spital zu überweisen».
Dieses Nichtstun kann laut Condrau jedoch nur verstanden werden, wenn grundlegendes Vertrauen da ist.
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In der Spitalmedizin sollte man sich aber vor allzu viel Vertrauen «vermutlich hüten».
Denn Condrau bezweifelt, dass Spitäler wirklich in der Lage sind, im Interesse der Patienten auf mögliche Interventionen zu verzichten. Der Kostendruck sei dafür zu hoch.
Auch Gedamke von der Patientenorganisation hält Vertrauen für besonders wichtig. Absolut zentral sei aber auch, dass Patienten ausreichend und verständlich informiert werden. Und «ernst genommen zu werden».
Umso wichtiger sei daher eine gute Kommunikation: «Es könnten etliche schwierige Situationen, teilweise sogar Rechtsfälle, abgewendet werden, wenn insbesondere Ärzte abgestimmter, wohlüberlegter und empathischer kommunizieren würden.»