Quadroni: Sein Leben nach dem Bündner Baukartell-Skandal
Es ist der grösste Kartell-Skandal, der in der Schweiz aufgedeckt wurde. Am Ursprung steht ein Whistleblower. Noch immer kämpft Adam Quadroni um seine Familie.
Das Wichtigste in Kürze
- Whistleblower Adam Quadroni machte die Absprachen unter den Bündner Bauunternehmen publik.
- Nach wie vor kämpft Quadroni um seine Ehre und die Familie.
- Ein Film dokumentiert das Ungemach, dass der Whistleblower nach den Enthüllungen erfuhr.
In einem Stall im Unterengadin steht Adam Quadroni. Um ihn herum Kühe. Dann beginnt die Stimme im Bündner Dialekt im «off» zu sprechen:
«Die davon profitieren, sind Unternehmer, sind verschiedene Politiker, sind verschiedene Verwaltungsangestellte. Alle, die aussenstehend sind von diesem System, haben einen Nachteil.» Dies seien Bürger, die Steuern zahlen. Private, die beispielsweise eine Gartenmauer oder Haus bauen – Gemeinde, Kanton, Stadt – alle.
Es ist die Stimme von Adam Quadroni. Dem Whistleblower im Bündner Bauskandal. Um seine Geschichte dreht sich der neuste Dok-Film von SRF.
«Der Preis der Aufrichtigkeit», heisst der 50-minütige Film. Er dokumentiert das Ungemach, das der ehemalige Bauunternehmer seit seiner Enthüllung erleiden musste.
Absprachen der Bauunternehmen
Am Anfang der Geschichte stehen die Machenschaften der Bündner Baukartelle. Über Jahrzehnte hinweg haben Bauunternehmer sich gegenseitig Aufträge zugeschanzt. Bei Sitzungen – orchestriert vom Baumeisterverband – wurden Preise festgelegt. Die Absprachen bis ins letzte Detail schriftlich festgelegt.
Auch Quadroni ist zu Beginn Teil des Kartells. 1990 nimmt ihn sein Vater mit an eine Versammlung. «Ich zeige dir jetzt, was nicht richtig läuft, aber wir müssen. Sonst überleben wir nicht», soll ihm sein Vater damals gesagt haben.
Als sein erstes Kind geboren wird, steigt er selbst aus den Machenschaften aus.
Doch seine eigene Firma gerät daraufhin in Schieflage. Geschäftlich als auch privat geht Quadroni bankrott. Der Kartell-Aussteiger sei systematisch kaputt gemacht worden, ist seine Schwester überzeugt.
Von vier Geschwistern ist Schwester Jacqueline Mischol die Einzige, die noch zu ihrem Bruder hält. Damals war es «uns allen nicht wohl, zum Überleben hat man das halt mitgemacht». Und der Skandal erstaune niemand: «Jeder wusste es.»
Bis zu 100 Prozent mehr verlangt
Hinter dem Kartell stehen einflussreiche Bauunternehmer, wird im Doc-Film berichtet. Erwähnt werden etwa der ehemalige Nationalrat Duri Bezzola und der ehemalige BDP-Grossrat Roland Conrad.
Um wie viel mehr wurde denn die Preise erhöht, wird Quadroni im Film gefragt. «Zu viel. 20, 30, 40, 50 bis 100 Prozent mehr», so seine Antwort.
Ein Kreisel hier, Bergbahn, Altersheim, Spital. Durchs ganze Engadin könne man fahren – überall habe das Baukartell seine Finger im Spiel gehabt.
Erst die entscheidenden Hinweise von Quadroni an die Behörden setzte den Machenschaften ein jähes Ende. Seither hat sich sein Leben drastisch geändert. Viele wandten sich von ihm ab, als er das Kartell auffliegen liess.
Auch seine Frau. Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihn verlassen. Seither kämpft Quadroni darum, den Kontakt mit den drei Töchtern nicht zu verlieren.
Heute weiss er, dass sie sich zuvor an die Behörden wandte. Dies, weil sie sich angeblich bedroht fühlte und sagte, ihr Mann hege Suizidgedanken.
Von Grenadier-Sondereinheit verhaftet
Dies setzte eine Kaskade von dramatischen Ereignissen in Gang. Im Juni 2017 wird er von einer Grenadier-Sondereinheit der Polizei verhaftet – vermummt und mit gezogenen Waffen. Quadroni kommt vier Tage in eine psychiatrische Klinik. Währenddessen zieht seine Frau mit den Kindern aus dem gemeinsamen Haus aus.
Als ihr Quadroni von der Festnahme erzählte, sei ihr der Unterkiefer heruntergeklappt, erklärt seine Hausärztin, Iris Zürcher, im Film. Selbst die Psychiater in der Klinik hätten selten so etwas erlebt.
Zürcher schrieb damals an das zuständige Regionalgericht. Die enge Bindung zwischen Vater und Töchtern verlange regelmässigen Kontakt. Umgesetzt davon? «Null».
Orlando Zegg, Präsident des Regionalgerichts Unterengadin, führte bis 2018 selbst verschiedene Verfahren gegen Quadroni. Unter anderem Konkurs-, Eheschutz- und das Scheidungsverfahren.
Für Quadroni-Anwalt Angelo Schwizer ist dies unverständlich: Onkel und Vater Zegg seien selbst im Baukartell dabeigewesen. «Für mich ist es in der Schweiz undenkbar, dass Quadroni einem solchen Richter gegenüberstehen kann.» Zegg habe stets vehement das Bild der Selbst- und Drittgefährdung gezeichnet.
Crowdfunding dank «Republik»-Artikel
Hilfe bekommt Quadroni unter anderem von Giusep Nay. Der ehemalige Bundesgerichtspräsident erklärt: «Es geht meistens um Persönlichkeiten aus der Öffentlichkeit und der Wirtschaft, die angeschärzt werden.» Personen, denen die Leute vertraut hätten.
Menschen würden Whistleblowern, die dieses Bild zerstören möchten, nicht vertrauen. Darum gerate trotz der Tatsachen oft der Whistleblower selbst ins Visier.
Dass Quadroni privat und geschäftlich Konkurs anmelden musste, habe ihm sicherlich nicht geholfen. Doch es gäbe keine Indizien, dass Quadroni selbst Leute über den Tisch gezogen habe, weiss Nay.
Auch den Lesern der «Republik» verdankt Quadroni einiges. Das Recherche-Magazin hatte den Fall Quadroni einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Student und Leser Natanael Wildermuth startete ein Crowdfunding. Über 250'000 Franken kamen zusammen.
Bald habe sich das Betreibungsamt vom Unterengadin gemeldet, so alt Bundesrichter Nay. Doch rechtlich gesehen gehört das Geld Spendensammler Wildermuth. Geld, das Quadroni für die Anwaltskosten und die Verfahren dringend braucht.
«Mit dieser Unterstützung habe ich nie gerechnet, nie erhofft und sie nicht erwartet. Das gibt mir sehr, sehr viel. Ich kann nicht mehr als danke sagen», so Quadroni an einer Veranstaltung der Spendengeber.
Quadroni steht zu seinen Fehlern
Ende November erhielt Quadroni im Zwischenbericht des Bündner Parlamentarischen Untersuchungskomitees sowie einem weiteren Bericht Recht. Es sei zu «unrechtmässigen und unverhältnismässigen Eingriffen in seine persönlichen Freiheiten» gekommen. Gegen Orlando Zegg wurde ein Strafverfahren eingeleitet.
Doch im Engadin stört es nach wie vor viele, dass Quadroni an die Öffentlichkeit ging. Er gilt als Nestbeschmutzer. Und selbst Wohlgesinnte ziehen es vor, zu schweigen.
Natürlich habe er selber auch grosse Fehler begangen. «Ich habe akzeptiert, ich habe schrittweise mitgemacht, ich habe auch übertreten, ich habe auch Fehler gemacht.» Und: «Dazu stehe ich auch.»
Heute lebt Quadroni zurückgezogen in seinem Heimatdorf im Unterengadin. Einer regelmässigen Arbeit geht Quadroni nicht nach. Ab und zu hilft er einem Bio-Bauern im Dorf, mistet frühmorgens den Kuhstall aus. Am Dorfleben selbst nimmt er längst nicht mehr Teil.
Was für Quadroni bleibt, ist Hoffnung: Hoffnung auf Gerechtigkeit und dass er seine Töchter wieder uneingeschränkt sehen darf. Doch Schwester Jacqueline glaubt kaum daran. Für sie ist es wie ein «Film, der kein Ende nimmt».