Angst

Schweiz-Iranerin zum Angriff auf Israel: «Habe Angst vor Krieg»

Riccardo Schmidlin
Riccardo Schmidlin

Zürich,

In der Schweiz ansässige Iranerinnen und Iraner warnen schon lange vor dem Mullah-Regime. Der Grossangriff auf Israel bestätigt sie in ihren Forderungen.

Saghi Gholipour
Die Schweiz-Iranerin Saghi Gholipour ist Mitgründerin der Organisation «Fee Iran Switzerland», Sie warnt vor einer Eskalation im Nahen Osten. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Iranerinnen und Iraner suchen in der Schweiz Schutz vor dem Unrechtsstaat.
  • Regimetreue gibt es in der Schweiz nur vereinzelt.
  • Mit dem Angriff auf Israel nehmen die Sorgen vor einem neuen Krieg zu.
  • Eine Schweiz-Iranerin erzählt bei Nau.ch, wie sie mit der Situation umgeht.

Am Wochenende hat der Iran seine Warnungen wahrgemacht: Erstmals in der Geschichte griff das Land seinen Erzfeind Israel direkt an. Rund 300 Raketen und Drohnen wurden auf Israel abgefeuert. 99 Prozent erreichten ihr Ziel aber nicht, da sie abgeschossen werden konnten – auch dank der Hilfe arabischer Staaten.

Trotzdem gingen nach dem Angriff Bilder von Feierenden aus Teheran um die Welt. Doch: Bei diesen handelte es sich um eine Täuschung: Den Iranerinnen und Iranern ist nämlich alles andere als nach Feiern zumute. «Die Bevölkerung hat Angst, sie möchte keinen Krieg», sagt die Schweiz-Iranerin Saghi Gholipour zu Nau.ch.

Die Politologin ist Mitgründerin der Organisation «Free Iran Switzerland». Diese setzt sich von der Schweiz aus für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte im Iran ein. Der Verein führt also hier den Protest gegen das Regime fort.

«Bei den Bildern aus Teheran handelt es sich um Propaganda», stellt die 40-Jährige klar. «Das Regime konnte einige Hundert Personen in einer 14-Millionen-Stadt mobilisieren. Das ist lächerlich!»

Krieg dient dem Regime als Ablenkung

Man müsse davon ausgehen, dass rund 15 Prozent der iranischen Bevölkerung das Mullah-Regime unterstützt. Jeder Funken von Widerstand werde zu unterdrücken versucht. Der Angriff diene als Ablenkung von den tatsächlichen Problemen, unter denen der Staat am Persischen Golf leide, weiss die Kennerin.

Im Iran kämpfen die Menschen mit wirtschaftlichen und innenpolitischen Problemen. Sowohl die Armut als auch die brutale Repression nehmen zu.

«Die Erzfeindschaft zwischen dem Iran und Israel ist eine Erfindung der Islamischen Republik», stellt Saghi Gholipour im Gespräch mit Nau.ch klar. «Vor der Revolution gab es keinen Konflikt zwischen den beiden Staaten. Jüdinnen und Juden konnten sehr gut im Iran leben, mussten aber nach der Revolution fliehen.»

Iran Revolution
1978/1979 kam es im Iran zu einem Aufstand gegen den Schah. Die Revolution wurde aber von Islamisten gekapert. - Keystone

Wenn Gholipour von der «Islamischen Republik» spricht, meint sie das Regime islamischer Revolutionäre, die 1979 die Macht übernahmen. Seither halten sie sich mit Gewalt, Terror und Repression an der Macht.

Sie mahnt, dass die iranische Bevölkerung nicht mit der Regierung gleichgesetzt werden darf. «Das Gleiche gilt ja auch bei Israel und bei der palästinensischen Bevölkerung. Das sind alles plurale Gesellschaften, wo verschiedene Lebensrealitäten und politische Anschauungen nebeneinander existieren.»

Gholipour sagt: «Ich mache mir riesige Sorgen um einen neuen Krieg. Bei einer Eskalation könnten sehr viele Unschuldige sterben. Das führt zu noch mehr Leid in einer bereits gebeutelten Region.»

Überrascht hat sie der Angriff allerdings nicht. «Der Iran droht Israel seit 45 Jahren.» Aus Sicht des Regimes sei es denn auch nachvollziehbar, dass der Iran gerade jetzt angriff.

«Iranische Revolutionsgarde prügelt, mordet und vergewaltigt»

Als Rechtfertigung für die Grossattacke nennt der Iran den israelischen Luftangriff in Damaskus (Syrien) auf die iranische Botschaft Anfang April. Dabei handle es sich nicht um irgendein Gebäude. «Es handelte sich offenbar um ein Nebengebäude des Konsulats, in dem die Revolutionsgarde stationiert war.»

Und diese ist von grosser Bedeutung: Die Revolutionsgarde gilt als Lebensversicherung der Mullahs. Sie erfülle zwei Aufgaben, wie Saghi Gholipour erklärt.

«Im Inland verteidigen sie die Revolution: Alle, die sich gegen das Regime erheben, werden eingeschüchtert – sie prügeln, morden und vergewaltigen.» Andererseits wolle die Revolutionsgarde die Revolution ins Ausland exportieren. «Indem sie unter anderem Milizen wie die Hisbollah oder die Hamas unterstützt und damit eine ‹Achse des Widerstands› beschwört.»

Sie stellt klar: «Diese Organisationen profitieren von der Islamischen Republik, nicht aber die Iranerinnen und Iraner selbst.»

Bereiten Ihnen die drohenden Eskalationen im Nahen Osten Sorgen?

Mit dem «fürchterlichen Angriff der Hamas» und der darauffolgenden «unverhältnismässigen Reaktion Israels» sei der Krieg im Nahen Osten wieder greifbar. «Die Situation macht mich fertig», sagt sie. «Es werden unschuldige Menschen getötet für etwas, was eine islamistische Miliz angerichtet hat.»

In Hinblick auf eine drohende Eskalation des Nahostkonflikts mahnt sie: «Auch die Schweiz und die ganze Welt müssen sich Sorgen machen. Die Situation in der Region ist sehr angespannt – wenn es jetzt eskaliert, dann richtig.»

Griffige Sanktionen gegen den Iran gefordert

Gholipour fordert deshalb griffige Sanktionen, um das Regime international zu isolieren. Und dass die Revolutionsgarde endgültig als Terrororganisation anerkannt wird. So wie es die iranische Protestbewegung seit Jahren fordert.

Seit dem Angriff beobachtet sie, dass die Islamische Republik die Repressionen – insbesondere gegenüber Frauen – weiter verschärft hat. «Gleichzeitig lebt der Widerstand. Wir warten nur auf den nächsten Ausbruch.»

berlin
Der Tod von Jina Mahsa Amini sorgte im Iran und in der ganzen Welt für Proteste. - Annette Riedl/dpa

Die Möglichkeit, dass die Proteste im Iran wieder aufflammen, sei wegen der Frustration mit dem Regime «enorm gross». Wie zuletzt 2022, als die 22-jährige Jina Mahsa Amini von der Sittenpolizei wegen eines angeblich falsch getragenen Kopftuchs festgenommen wurde. Wenige Tage später starb sie in Gewahrsam – durch die Folgen der Polizeigewalt.

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