Schweizer Ärzte arbeiten zu viel - Patienten in Gefahr
Eine Umfrage mit rund einem Drittel der Schweizer Assistenzärzte zeigt, dass die Spitäler mutmasslich gegen das Arbeitsgesetz verstossen.
Das Wichtigste in Kürze
- Laut Arbeitsgesetz darf man nur in Ausnahmefällen über 50 Stunden pro Woche arbeiten.
- Gemäss einer Umfrage arbeiten viele Assistenzärzte aber mehr als 11 Stunden pro Tag.
- Oft wird die zulässige Arbeitszeit schon in der Dienstplanung überschritten.
Immer mehr Ärzte kehren in der Schweiz dem Gesundheitswesen den Rücken. Das dürfte für die Spitäler zu einem grossen Problem werden.
Eine Umfrage der «NZZ» mit 4500 Assistenzärzten aus der Deutschschweiz zeigt nun die Beweggründe auf. Das sind rund ein Drittel aller Assistenzärzte in der Schweiz.
Von den Befragten gaben dabei knapp 40 Prozent an, dass sie durchschnittlich über 11 Stunden pro Tag arbeiten. Doch laut dem Arbeitsgesetz dürfen auch Ärzte nur in Ausnahmefällen über 50 Stunden pro Woche arbeiten.
Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass die maximal zulässige Arbeitszeit bereits in der Dienstplanung überschritten werde. Das liege vor allem an der hohen Arbeitslast und der Bürokratie.
Mangelhafte Digitalisierung erschwert Arbeit
Die mangelhafte Digitalisierung im Gesundheitswesen erschwere die Arbeitsabläufe. Alte Computersysteme etwa machen vielen befragten Assistenzärzten zu schaffen. Zudem verfügt die Schweiz nicht über funktionierende Patientendossiers, zu denen alle Ärzte Zugang haben.
Das führt etwa dazu, dass Assistenzärzte bei neuen Patienten deren Patientenberichte nochmals selbst abtippen müssen. Und dies oftmals im Anschluss an die offizielle Arbeitszeit – in nicht wenigen Fällen gratis.
Denn jeder fünfte Befragte habe schon erlebt, dass Vorgesetzte Druck ausüben, die Überzeit nicht richtig zu erfassen. Dagegen wehren sich die wenigsten – aus Angst, ihre Karriere zu ruinieren.
Zu kurze Pausen
Hinzu kommt, dass die Assistenzärzte trotz der langen Arbeitstage kaum vorschriftsmässig Pausen machen können. Ab neun Stunden Arbeitszeit sollte die Mittagspause eine ganze Stunde betragen. Drei Viertel gaben in der Umfrage aber an, weniger als eine halbe Stunde Mittagspause machen zu können. Nur 27 der 4570 Befragten könne regelmässig eine Stunde oder länger Mittagspause machen.
Verrechnet werde aber in einigen Fällen dennoch eine Stunde Pause. Auch komme es vor, dass Überstunden gestrichen und Krankheitstage als Minusstunden verbucht werden. Das alles würde sich auf die Sicherheit der Patienten auswirken.
Brisant: 75 Prozent der Befragten glauben, ihre Arbeit wegen des Zeitdrucks nicht richtig ausführen zu können. Vier Fünftel gaben an, bereits Fehler gemacht zu haben, weil sie übermüdet oder überarbeitet gewesen seien.
«Das System ist extrem fehleranfällig»
Dabei können Fehler im schlimmsten Fall tödlich enden. «Das System ist extrem fehleranfällig. Die Frage ist nicht, ob Fehler passieren, sondern wie schlimm sie sind», sagt eine Assistenzärztin.
Über die Hälfte der Befragten fühle sich gestresst oder habe Angst, ein Burnout zu erleiden. Fünf Prozent gaben an, schon einmal ein Burnout erlitten zu haben. Ein weiterer Kritikpunkt: Ein Grossteil der Befragten erhalte die ihnen zustehende strukturierte Weiterbildung nicht oder könne sie nicht besuchen.
Der Schweizer Spitalverband H+ wehrt sich gegen die Kritik, dass Spitäler systematisch Höchstarbeitszeiten missachten und ihrem Ausbildungsauftrag nicht nachkommen würden. Eine Blitzumfrage von H+ widerspreche diesen Darstellungen. Dass die Spitäler das Arbeitsgesetz einhalten, würden auch die Kontrollen der Arbeitsinspektoren zeigen.