So lief die Nacht der langen Bundesplatz-Räumung
Nun also doch: Nach 47 Stunden räumt die Polizei das illegale Klima-Camp auf dem Bundesplatz. Nau.ch war in der historischen Nacht von Bern vor Ort.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach 47 Stunden illegalem Klimacamp räumt die Kantonspolizei Bern den Bundesplatz.
- Dutzende verliessen den Platz freiwillig, der Rest wurde einzeln abgeführt.
- Die politischen Verantwortlichen zeigten sich an (fast) vorderster Front.
Um Punkt 2.09 Uhr nachts ist es soweit: Innert Sekunden umstellt ein Grossaufgebot der Polizei den Bundesplatz in Bern. Auf diesem befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch hunderte vorwiegend junge Klima-Aktivisten.
80 Minuten später beginnen die Einsatzkräfte mit der Räumung. Es ist das Ende des historischen, 47 Stunden andauernden Klimacamps im Herzen der Eidgenossenschaft.
Rückblende: Den ganzen Dienstag hindurch diskutierten Aktivisten, Politiker und Journalisten, ob und wann das illegal errichtete Lager der Klima-Bewegung aufgelöst wird.
Die Debatte ist gehässig. Bürgerliche Nationalräte wollen der Stadt Bern den Bundesplatz enteignen. Diskussionen zwischen politischen Rivalen eskalieren komplett. Am späten Nachmittag macht die Stadt den Aktivisten dann implizit klar: Zieht ab, sonst greifen wir durch.
Linke Parlamentarier wie Fabian Molina, Mattea Meyer oder Jacqueline Badran (alle SP) suchen nach Feierabend das Gespräch mit den Klima-Kämpfern. Gegen 22 Uhr beginnt es in Bern heftig zu regnen.
Die Demonstranten suchen Schutz unter den eingerichteten Zelten. Mitten unter ihnen: Grünen-Präsident Balthasar Glättli.
Pascal will «den Tunnel verteidigen»
Die Situation bleibt lange ruhig. Doch nach Mitternacht macht plötzlich ein Gerücht die Runde: Vor der Militär-Kaserne würden sich dutzende Einsatzfahrzeuge bereit machen. Frida Kohlmann vom Klimastreik verschickt um 1.21 Uhr eine Warn-SMS. «Wir werden geräumt!»
Ein etwa 25-jähriger Mann, der sich Pascal nennt, spricht die Journalisten an, fragt sie: «Kennt ihr eure Verteidigungs-Positionen?» Er schlägt vor, den Eingang Richtung Altstadt stark zu besetzen, «diesen Tunnel können wir lange halten». Als ihm bewusst wird, dass er mit Reportern redet, bleibt er freundlich. «Ich hoffe, es kommt alles gut», sagt er bloss.
Gegen 1.30 Uhr nachts legt sich die Nervosität. Manche Aktivisten gehen in ihre Zelte, um etwas zu schlafen. Andere singen die bekannten Klimastreik-Lieder. Eine Anführerin instruiert eine grosse Gruppe junger Demonstranten, was nach der erwarteten Intervention mit dem Gepäck passieren soll.
«High Noon» um 2.09 Uhr
«Tragt die Rucksäcke auf euch. Grosse Taschen könnt ihr in einem Zelt deponieren. Es sollte möglich sein, diese dann in der Reithalle wieder abzuholen», sagt sie. Einige beginnen, Abfall wegzuräumen. Was auffällt: Alkohol wird auf dem ganzen Gelände nicht konsumiert.
Dann bricht Hektik aus. Um 2.09 Uhr kreuzt die Polizei auf. Es scheint, als würden einige nur darauf warten, dass endlich «Action» herrscht. Einmal mehr sind Durchhalteparolen zu vernehmen. Per Lautsprecher auf dem Bundeshaus wenden sich die Einsatzkräfte knapp zehn Minuten später an die Besetzer.
Die Aufforderung: «Verlassen Sie den Bundesplatz!» Möglich ist das für die verbliebenen Demonstranten jetzt nur noch beim Ausgang Bundesgasse in Richtung Bahnhof. Wer freiwillig von dannen zieht, muss seine Personalien hinterlassen und darf gehen.
Nach einigem Zögern machen sich viele der Bundesplatz-Besetzer auf den Weg. Während rund 45 Minuten verlässt einer nach dem anderen das Gelände. Unter ständigem Singsang jener, die ausharren. Dann folgt die allerletzte Warnung der Polizei.
Und um 3.28 Uhr ist es so weit: Der erste Polizist in Vollmontur betritt den Platz und beginnt, Zelte und Transparente zu entfernen. Nur Minuten später folgen die ersten Personen.
Auch Stapi von Graffenried ist da
Ein Aktivist nach dem anderen wird aus der Menschenkette gerissen und abgeführt. Aktiven Widerstand leistet keiner.
Ein junger Mann versucht, Streit anzuzetteln. Er schreit, dass die Beamten ihm keine Luft liessen: «Schnürt mir nicht die Kehle zu!» Das sorgt kurz für Aufruhr. Rasch merken aber alle Beteiligten, dass es sich um eine reine Provokation handelt.
Mittlerweile sind nicht nur viele Medienschaffende auf dem Bundesplatz, um das Geschehen zu beobachten. Im Hintergrund steht der grüne Stadtpräsident Alec von Graffenried. Er trägt eine Baseballmütze, wird aber rasch erkannt.
Gesprächig zeigt er sich nicht. Die meiste Zeit hält er sich wie ein verlegener Feldherr hinter der ersten Reihe seiner Polizisten auf. Hingegen an vorderster Front ist Regierungsrat Philippe Müller (FDP), der Sicherheitsdirektor des Kantons Bern.
Doch von den befürchteten Ausschreitungen keine Spur. «Seine» Polizisten führen ihren Auftrag stillschweigend aus – wohlbedacht, keinen Fehler zu machen. Wenn die Aktivisten eine Singpause einlegen, ist es mucksmäuschenstill. Die Kameras halten jede Sekunde der Aktion fest.
Klima-Singsang statt Antifa-Geschrei bei Abführung
Auffallend: Im Gegensatz zum Montag, als primär aggressive, anti-kapitalistische Sprechchöre zu hören waren, hallen ausschliesslich Klima-Sprechchöre durch die Nacht. Offensichtlich hat nur der harte Kern der Klima-Bewegung ausgeharrt.
Nachdem die erste, rund 40-köpfige Truppe «weggeräumt» ist, gehen die Beamten auf jene Aktivisten zu, die sich angekettet haben. Kurz werden die Polizisten unsicher. «Pass auf, da ist noch eine Schraube dran», sagt einer zu seinem Kollegen. Nach einigen Instruktionen geht aber auch diese Intervention ohne grössere Zwischenfälle vonstatten.
Die offensichtlich bestens vorbereiteten Beamten wollen sich keine Fehler leisten. Und es gibt dabei kein Pardon, die Nervosität ist gross. Kein Wunder: Das ganze Land beobachtet die Räumungsmission.
Als ein Journalist den Bundesplatz verlassen will, wird er aufgehalten. Fotos von ID und Presseausweis, Wegweisung zum einzigen Ausgang, bei dem auch die Aktivisten abgeführt werden. Erneute Kontrolle. Erst dann darf der Medienvertreter den Bundesplatz über einen riesigen Umweg verlassen.
Bundesplatz erst nach 6 Uhr wieder frei
Für die abgeführten Aktivisten beginnt allerdings ein weitaus grösserer Spiessrutenlauf. In eilig errichteten Zelten werden sie einzeln kontrolliert, die Personalien werden aufgenommen. Wie genau es für sie weitergeht, ist zu diesem Zeitpunkt unklar. Es droht eine Anzeige.
Derweil beobachten die politisch Verantwortlichen die Szenerie weiter. Stadtpräsident Alec von Graffenried und seine Kollegen im Gemeinderat wissen: Die letzten 48 Stunden dürften auch nach Beendigung der illegalen Besetzung noch zu reden geben.
Lange hat die Stadt Bern die illegale Klima-Aktion zwischen Bundeshaus und Nationalbank toleriert, die Regierung hegte grosse Sympathien für die Anliegen der Demonstrierenden. Doch der Druck wurde zu gross.
Zum Start der Session um 8 Uhr morgens ist die Räumung grösstenteils abgeschlossen. Die National- und Ständeräte können also wieder ungehindert über den Bundesplatz an ihre Wirkungsstätte gelangen.