Viele Menschen geraten im Alter in ein Abhängigkeitsverhältnis – unter anderem mit dem Partner oder der Partnerin. Das kann das Gewalt-Risiko erhöhen.
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Veränderungen im Alter führen zu mehr Stress – und das wiederum kann das Risiko für Häusliche Gewalt steigern. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Seniorinnen und Senioren müssen ihre kranken Angehörigen betreuen.
  • Das sorgt für Spannungen – und artet teils sogar in Gewalt aus.
  • Im Alter ist das noch gefährlicher – Betroffene können sich schnell schwer verletzen.
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«76-Jähriger sticht auf seine Ehefrau ein – Polizei nimmt ihn fest» oder «Frau (†82) tot aufgefunden – Partner (87) festgenommen»: Schlagzeilen, die man immer wieder liest.

Fast 90-Jährige, die töten – auf den ersten Blick überraschend. Doch es gibt gewisse Faktoren, die häusliche Gewalt im Alter begünstigen.

So sehr, dass betagte Menschen gar einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein können, Opfer von Gewalt zu werden. Das sagt Peter Burri Follath, Präsident der Altersorganisation Pro Senectute, zu Nau.ch.

Senioren schlagen oft aus Überforderung zu

Er erklärt: «Oft spielen bei häuslicher Gewalt im Alter emotionale, finanzielle oder physische Abhängigkeiten eine Rolle. Ein häufiger Grund ist Überforderung – insbesondere bei der Betreuung von pflegebedürftigen oder dementen Angehörigen

Die Betreuung und Pflege können eine enorme Belastung darstellen, sowohl emotional als auch körperlich, sagt Burri Follath.

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Im Alter geraten viele Menschen in ein Abhängigkeitsverhältnis. Damit kann das Risiko für häusliche Gewalt wachsen. (Symbolbild)
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Ein häufiger Grund für häusliche Gewalt im Alter ist Überforderung. (Symbolbild)
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Insbesondere bei der Betreuung von pflegebedürftigen oder dementen Angehörigen. (Archivbild)
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Im Alter kommen also gewisse Faktoren dazu, die einerseits Aggressionen auslösen, andererseits das Risiko erhöhen, Opfer zu werden.
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Doch ausschlaggebend sind letzten Endes persönliche Merkmale, erklärt der Experte – etwa Impulsivität.

Mit Folgen: «Kommen Angehörige oder Pflegende mit der Situation nicht zurecht, kann es zu Aggressionen und Gewalt kommen.»

Weitere Faktoren sind laut Kriminologe Dirk Baier: «Die geistigen und körperlichen Fähigkeiten nehmen ab, was die Kontrolle des eigenen Handelns erschwert.» Und weil sich das soziale Netzwerk im Alter oft verkleinere, fehle die soziale Kontrolle häufiger. «So holt man sich zu spät Hilfe.»

Schon ein leichter Stoss kann tödlich enden

Das kann tödlich sein. «Für ältere Menschen kann häusliche Gewalt tatsächlich gefährlicher sein», sagt Burri Follath.

«Durch altersbedingte körperliche Gebrechlichkeit können schon kleinere Übergriffe schwere gesundheitliche Folgen haben.» So könne schon ein leichter Sturz oder Stoss schwere Verletzungen verursachen – etwa Knochenbrüche oder Kopfverletzungen.

Gab es in deinem Umfeld einmal einen Fall von häuslicher Gewalt gegen Senioren?

Darum sei es wichtig, frühzeitig Unterstützung und Entlastung durch externe Betreuungs- und Pflegedienste oder Beratungsstellen zu suchen.

«Solche Verletzungen können in einigen Fällen sogar tödlich enden. Zudem erholen sich hochaltrige und vulnerable Menschen oft langsamer von Verletzungen.» Das erhöhe das Risiko von Komplikationen.

Hohe Dunkelziffer

Obwohl es immer wieder Berichte über Gewalttaten gibt – in der Kriminalstatistik sticht die Gruppe der Senioren nicht heraus. Im Gegenteil: Sie zeigt gar, dass häusliche Gewaltdelikte bei den Ü60- und Ü70-Jährigen am geringsten verbreitet sind.

Im Vergleich haben die 30- bis 40-Jährigen fünfmal so hohe Raten. Baier geht jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus.

«Die Zahlen deuten darauf hin, dass häusliche Gewalt insgesamt weniger im Alter stattfindet. Aber dass sie, wenn sie passiert, seltener zur Anzeige kommt», erklärt er. «Nur so sind die Zahlen erklärbar.»

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Seniorinnen und Senioren scheinen grössere Hemmungen zu haben, häusliche Gewalt zu melden. (Symbolbild) - keystone

Denn in sogenannten Dunkelfeldbefragungen seien die Unterschiede zu anderen Altersgruppen deutlich geringer. Diese Befragungen zielen darauf ab, Erkenntnisse über Straftaten zu gewinnen, die der Polizei nicht bekannt sind.

«Ältere Opfer häuslicher Gewalt scheinen also grössere Hemmungen zu haben, sich bei der Polizei zu melden.»

Betagte Täter oft schon vorher gewalttätig

Obwohl im Alter oft Faktoren wie Überforderung dazu kommen – die meisten werden nicht plötzlich gewalttätig. «Gewalt in Partnerschaften bricht nicht von heute auf morgen aus», sagt Baier.

Bei solchen Gewalttaten sei zu vermuten, dass die Person schon vorher impulsiv war und Konflikte körperlich löste. Entscheidend ist laut Baier nicht das Alter, sondern andere Merkmale.

«Auch Senioren sind eher gewalttätig, wenn sie weniger selbstkontrolliert sind, Gewalt eher als akzeptabel einstufen, bestimmte Dominanzvorstellungen haben.» Kommt dann Stress aufgrund von Veränderungen im Alter dazu, lassen solche Personen ihren Frust am Partner aus.

Oder eher an der Partnerin. Denn wie bei anderen Altersgruppen sind auch bei Senioren deutlich häufiger Männer die Täter und Frauen die Opfer.

«Behutsam Gespräch suchen»

Und was tun, wenn man vermutet, dass es bei betagten Nachbarn oder Angehörigen zu Gewalt kommt? «Man sollte auf Anzeichen achten, wie zum Beispiel unerklärliche Verletzungen oder auffälliges Verhalten», sagt Peter Burri Follath.

«Dann ist es wichtig, behutsam das Gespräch zu suchen. Man sollte den Betroffenen Hilfe anbieten und sie über ihre Rechte aufklären.»

In schweren Fälle sollte man sich sofort an die Polizei wenden.

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Brauchst du Hilfe?

Bist du von Gewalt betroffen oder sorgst du dich um eine betroffene Person? Die Opferhilfe Schweiz bietet für alle Betroffenen und deren Umfeld in jedem Kanton kostenlose, vertrauliche und anonyme Beratung (www.opferhilfe-schweiz.ch)

Eine Anlaufstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt im Alter ist Alter ohne Gewalt (www.alterohnegewalt.ch, Tel. 0848 00 13 13)

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