Ukraine Krieg: Schweizer Munition dürfte doch geliefert werden
Deutschland will zur Infrastruktur-Verteidigung Schweizer Munition in den Ukraine-Krieg liefern. Laut einem Experten dürfte die neutrale Schweiz das Ok geben.
Das Wichtigste in Kürze
- Deutschland darf Schweizer Munition bisher nicht in die Ukraine liefern.
- Hierzulande lautet die Begründung: Es handle sich um einen Verstoss gegen die Neutralität.
- Laut Rechtsprofessor Thomas Cottier dürfte und sollte die Schweiz die Lieferung zulassen.
Deutschland will 35-Millimeter-Geschosse aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern. Das von Russland angegriffene Land benötigt dringend Munition für ihren Defensiv- und Flugabwehrpanzer Gepard. Mit den Geschossen soll unter anderem die von Russland zuletzt ins Visier genommene Infrastruktur verteidigt werden.
Bisher wird die Schweizer Munition aber nicht in den Ukraine-Krieg geliefert. Schon vor Monaten lehnte man hierzulande eine entsprechende Bitte ab. Aus Gründen der Neutralität dürfe die Schweiz Deutschland nicht erlauben, die Geschosse in den Krieg zu liefern, lautete die Begründung. Das sei aber falsch, sagt nun ein Rechtsprofessor.
Experte: Schweiz darf Munition in Ukraine-Krieg liefern lassen
Mit Thomas Cottier widerspricht ein angesehener Experte für internationale Handelsfragen dieser Art dem Neutralitäts-Argument. Der Bundesrat könne Deutschland die Lieferung erlauben, sagt der Berner Rechtsprofessor gegenüber dem «Bund».
Das verhindere auch die beim Kauf der Geschosse unterschriebene Nichtwiederausfuhr-Erklärung nicht. Gemäss Kriegsmaterialgesetz sei es dem Bundesrat erlaubt, das Wiederausfuhrverbot im Einzelfall und unter «ausserordentlichen Umständen» aufzuheben oder zu suspendieren.
Der Bundesrat habe deshalb «durchaus die Möglichkeit, die Munition freizugeben», sagt Cottier. Berücksichtigt werden müsse, «dass sie defensiven Zwecken dient und ihr Einsatz den Werten der Schweiz entspricht».
Haltung des Bundesrats «unverständlich»
Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg seien die «ausserordentlichen Umstände» gegeben. Die bisherige Haltung der Landesregierung ist aus Sicht des Experten deshalb «unverständlich und nicht im Interesse der Schweiz und ihres Rufs».
Die Schweiz gerät nun mehr und mehr in ein Dilemma. Aus der Ukraine heisst es, man wolle Getreidelieferungen schützen, vor allem solche für ärmere Länder.
Weil Russland die Sicherheit ziviler Schiffe im Schwarzen Meer nicht mehr garantieren kann, droht in Afrika und anderen Orten Hunger. Die Forderungen an die Freigabe der Munition werden deshalb lauter, der Druck auf den Bundesrat grösser.
Cottier: UNO-Charta geht Neutralitätsrecht vor
Rechtsprofessor Cottier betont, dass die Schweiz gemäss UNO-Charta an der kollektiven Verteidigung gegen Russland teilnehmen kann. «Die Charta geht dem alten Neutralitätsrecht von 1907 aus Zeiten des europäischen Imperialismus vor.» Die Schweiz müsste so nicht einmal Notrecht anwenden.
Der Bundesrat soll mit Notrecht die Lieferungen möglich machen. Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung. #Ukraine https://t.co/HiZ2urjMaB
— Elisabeth Schneider-Schneiter (@Elisabeth_S_S) October 29, 2022
Widerstand gegen die Lieferungen gibt es hierzulande weiterhin. Für SVP-Präsident Marco Chiesa sind die Regeln «glasklar», zitiert ihn der «Bund». Die «unsägliche Diskussion» sei für ihn «eine Folge des Neutralitätsbruchs durch den Bundesrat».