Versicherung will Patientin zu Antidepressiva zwingen
Versicherungen schreiben arbeitsunfähige Personen plötzlich gesund. Bei anderen mischen sie sich direkt in die Behandlung ein. Was ist erlaubt?
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Das Wichtigste in Kürze
- Krankgeschriebene Arbeitnehmer müssen möglichst schnell wieder gesund werden.
- Das führt dazu, dass Krankentaggeldversicherungen die Einnahme von Medikamenten fordern.
- Patienten werden gegen ihren Willen aufgefordert. Es droht der Wegfall der Leistungen.
Krankgeschriebene Personen kriegen ihren Lohn entweder vom Arbeitgeber oder von einer Taggeldversicherung. Diese will, dass der Arbeitnehmende möglichst schnell wieder arbeitsfähig ist. Das kann je nach Fall aber dauern – für Versicherungen wird es dadurch teuer.
Um die krankgeschriebene Person schnell wieder an den Arbeitsplatz zu bringen, greifen Versicherungen mitunter direkt in die Behandlung ein. Das kann dazu führen, dass arbeitsunfähige Personen plötzlich ein Schreiben erhalten und aufgefordert werden, bestimmte Medikamente zu nehmen.
Andere sind plötzlich gesundgeschrieben – ohne Rücksprache mit den Patienten und entgegen der Befunde einer Klinik.
Medikamente gegen den Willen
In einem vom SRF-«Kassensturz» berichteten Fall soll eine depressive Frau aus Genf nach drei Monaten Antidepressiva einnehmen. Zur Kontrolle müsse sie der Versicherung Bluttests schicken, teilt ihr diese mit.
Darf die Versicherung, in diesem Fall die Helvetia, der Frau Medikamente aufzwingen – «gegen ihren Willen» und die medizinischen Empfehlungen?
Die Versicherung argumentiert mit der Schadenminderungspflicht, wonach Arbeitnehmende möglichst wenige Taggelder beziehen müssen.
Zudem verweist sie auf ihre allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die Versicherte zur Einnahme von Medikamenten verpflichten.
Die Bluttests seien gesetzlich zugelassen.
Die Patientin will in diesem Fall aber keine Antidepressiva einnehmen. Untersuchungen zeigen ausserdem, dass chemische Antidepressiva Nebenwirkungen haben können.
Die Patientin befürwortet pflanzliche Produkte gegen ihre Beschwerden. Doch damit droht sie, die Leistungen der Versicherung zu verlieren. Sie verzichtete auf die Taggelder und arbeitet mittlerweile wieder.
Bluttest-Forderung «eindeutig übertrieben»
Was aber, wenn man vom eigenen Arzt noch lange krankgeschrieben ist und die Versicherung interveniert?
Der Arbeitgeber und die Taggeldversicherung können einen Arbeitnehmer von einem Vertrauensarzt untersuchen lassen. Dieser darf die Informationen über den Befund aber nicht dem Arbeitgeber weitergeben.
Das Arztgeheimnis kann hingegen gegenüber der Taggeldversicherung aufgehoben werden. Schliesslich muss diese abklären, ob eine Person Anspruch auf Leistungen hat. Auch die IV wird von der Schweigepflicht ausgenommen.
Letztere kann – einem Bundesgerichtsentscheid zufolge – Medikamente und Bluttests aufzwingen. Im «Kassensturz»-Beitrag stellt Rechtsprofessor Kurt Pärli aber klar: Das gilt nicht automatisch für die Krankentaggeldversicherung.
Denn diese zahle schliesslich nur bis zu maximal zwei Jahren, die IV hingegen über viele Jahre. Die Forderung einer Krankentaggeldversicherung, Medikamente zu nehmen, sei deshalb «eindeutig übertrieben».
«Kassensturz»-Rechtsexpertin Gabriela Baumgartner empfiehlt betroffenen Arbeitnehmern, in einem solchen Fall bei der Versicherung nach den Gründen zu fragen.
Diese könne man dann mit der behandelnden Ärztin besprechen, worauf diese intervenieren können. Zudem sei rechtliche Hilfe schon sehr früh sinnvoll.
Einschätzung ohne persönliches Treffen
In zwei weiteren Fällen, die von «Kassensturz» beleuchtet werden, werden krankgeschriebene Frauen plötzlich von der Versicherung als arbeitsfähig eingestuft. Ihre Ärzte beurteilen sie aber noch anders.
Die Vaudoise Versicherungen, in beiden Fällen zuständig, rechtfertigt das Vorgehen: Es sei «nicht in jedem Fall sinnvoll, eine zusätzliche Begutachtung in Auftrag zu geben». In beiden Fällen «verfügte die beratende Ärztin über ein aussagekräftiges medizinisches Dossier mit aktuellen Verlaufsberichten».