Der Verdrängungsmechanismus für Geringverdiener ist hierzulande fast überall in Gange. Zürcher Genossenschaften vermelden immer mehr Anmeldungen.
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Die Preise von Wohnungen in der Schweiz sind laut Mieterverband oft jenseits aller Kosten der Vermieterschaft. (Symbolbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweiz gibt es eine Wohnungsnot.
  • Vor allem in Städten wie Zürich ist daher grosser Ansturm auf Genossenschaften entstanden.
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«In der Stadt Zürich fehlen zahlbare Wohnungen», sagt Michael Töngi, Vizepräsident des Mieterverbands Schweiz. Schon für eine 4-Zimmer-Wohnung fallen im Schnitt zirka 2000 Frank Mietzins im Monat an. Etwas Neusaniertes oder Gebautes kostet noch einiges mehr. «Wer für eine solche Wohnung nicht 3000 Franken hinblättern kann, wird kaum etwas mieten können», sagt er.

So auch in anderen Städten. «Die Preise sind nicht überall gleich hoch», so der Nationalrat (Grüne) weiter. «Aber der Verdrängungsmechanismus für Personen mit kleinen Einkommen ist fast überall in Gange.»

Die Städte sind bemüht, dem entgegenzuwirken. Sie geben beispielsweise einige Parzellen an gemeinnützige Wohnbauträger ab. Auch machen sie Vorschriften zu Gunsten preisgünstiger Wohnungen in Neubauprojekten und unterstützen preisgünstige Wohnungen mit zinsgünstigen Darlehen.

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Ein Problem wird dabei ignoriert. «Die Mietpreise von Wohnungen in der Schweiz sind oft jenseits aller Kosten der Vermieterschaft – und missbräuchlich hoch», sagt Töngi. «Das wird nicht richtig kontrolliert und die Mietenden müssen sich selbst wehren.» Oftmals sei ihnen der Aufwand aber zu gross.

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Mega-Ansturm auf Zürcher Schnäppli-Wohnungen: Im Langgrüt in Zürich-Albisrieden entstehen 123 Genossenschaftswohnungen. - GBL

Und, laut Töngi, will das Parlament den Prozess sogar «massiv erschweren». In Zukunft soll eine Anfechtung eines missbräuchlichen Mietzinses nur noch möglich sein, wenn Mieter eine «persönliche Notlage» beweisen können. «Als ob das etwas mit der Missbräuchlichkeit zu tun hätte», nervt sich Töngi.

Preise nicht willkürlich hoch angesetzt

Aus seiner Sicht ist es deshalb nicht erstaunlich, dass sich viele Menschen für gemeinnützige Wohnungen bewerben. Wie beispielsweise Anfang Sommer. In Zürich-Albisrieden erlebten 123 Wohnungen zu einem relativ niedrigen Preis einen regelrechten Ansturm.

Über 6500 Bewerbungen gingen innerhalb 24 Stunden für die Neubausiedlung Langgrüt ein. Eine 4,5-Zimmer-Wohnung gibts hier ab 2200 Franken. Für Zürich ein Schnäppchen.

«Auch hier sind Neubauwohnungen nicht günstig», sagt Töngi. «Aber es gibt eine Sicherheit, dass die Preise nicht willkürlich hoch angesetzt werden.»

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Zahlbare Wohnungen fehlen nicht nur in Zürich. (Symbolbild)
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Vor allem Junge finden keine. Aber auch Familien, Alleinerziehende und Rentner sind von der Notlage betroffen.
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Dementsprechend hoch ist der Ansturm auf Genossenschaften.

Für Stefan Schneider, Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Schweiz – Regionalverband Zürich, ist der Stand der Dinge Grund zur Besorgnis. «Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist seit Jahren anhaltend hoch», sagt er. «Und sie dürfte weiter zunehmen.»

Zwar hat der Verband in den letzten zehn Jahren mehr als 10'000 zusätzliche Wohnungen gebaut. Aber die Ausweitung des Angebots deckt den Ansturm «bei weitem» nicht ab, warnt Schneider.

Um der Nachfrage gerecht zu werden, müssten laut Schneider die Genossenschaften zusätzliches Bauland und Bestandesbauten zu bezahlbaren Preisen erwerben können. Er erhofft sich zusätzliche Chancen von neuen Instrumenten, wie einem Verkaufsrecht für Gemeinden. So könnte dem Ziel in enger Partnerschaft mit den Kommunen nähergekommen werden.

Ansturm wird immer grösser

Auch die Genossenschaft ABZ (sie hat über 5000 Wohnungen in der Stadt und im Grossraum Zürich) bestätigt, wie weit verbreitet das Problem ist. «In unserer letzten Neubausiedlung Glattpark (2018) hatten wir für 284 Wohnungen zahlreiche Bewerbungen erhalten», sagt Sprecherin Cynthia Grasso. «Seither hat sich der Wohnungsmarkt weiter erhitzt». Für ihre geplanten Ersatzneubauten in Leimbach und das künftige Koch-Quartier erwartet die Genossenschaft «noch mal mehr Ansturm».

Grasso erklärt: Über Neubauprojekte informiere man frühzeitig über die Webseite und einen Newsletter. Das Bewerbungsfenster öffnet sich zirka ein Jahr vor Bezug und ist jeweils länger als 24 Stunden offen. In einer ersten Phase können sich Mitglieder bewerben, danach alle Interessierten.

Trotzdem müsste die Genossenschaft viele Wohnungssuchende enttäuschen.

Vor allem Junge finden keine Wohnungen

Genauso bei der Baugenossenschaft Burgmatte. «Vor allem Junge, Alleinstehende finden keine Wohnungen», sagt Präsidentin Ursula Gacond. «Somit sind unsere kleinsten Wohnungen, mit 1,5 bis 2,5 Zimmern, sehr begehrt.» Aber auch Familien, Alleinerziehende und Rentner würden sich – meist sehr dringlich, weil ihre Häuser abgerissen werden – melden.

Bist du besorgt wegen der Wohnungsnot in Zürich?

Gacond ist erst seit fünf Jahren im Vorstand der Genossenschaft. Aber sie stellt seit Beginn ihrer Tätigkeit fest, dass die Anfragen zunehmen. «Wöchentlich erhalten wir sicher zehn bis 15 Anmeldungen, die wir für ein Jahr auf unsere Warteliste nehmen», sagt sie.

Ebenfalls stellt Gacond fest, dass Mieter länger in ihren Wohnungen bleiben. «Auch wenn sie ihnen vielleicht nicht mehr gefallen, wegen der Grösse oder dem Ort», sagt sie. «Sie nehmen beispielsweise längere Arbeitswege in Kauf, da es allgemein schwierig ist, eine Wohnung zu finden.» Somit hat die Genossenschaft seltener freiwerdende Wohnungen als früher.

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