Wegen Duzen? Gen Z denkt, der Chef sei ein Kumpel
Die Du-Kultur ist in Schweizer Firmen weit verbreitet. Geht so der Respekt vor Arbeitskollegen und Vorgesetzten verloren?
Das Wichtigste in Kürze
- Besonders die Gen Z tut sich schwer damit, beim Arbeitsplatz den richtigen Ton zu treffen.
- Trotzdem ist die Du-Kultur bei Schweizer Firmen weit verbreitet.
- Gemäss Experten ist nicht die Anrede entscheidend, sondern der gegenseitige Respekt.
Sowas hatte sie noch nie erlebt: Nadja K.* (33) ist Chefin eines Teams von rund 40 Angestellten. Auch zwei Praktikanten arbeiten im Unternehmen, dessen Namen sie nicht in den Medien lesen möchte.
Während einer zurückhaltend arbeitet und nur die nötigsten Fragen stellt, prescht der andere vor. Thomas* ist 21 Jahre jung und hat in Nadjas Team seinen ersten Job. «Eines Tages stand er hinter mir, schaute auf meinen Laptop und bewertete meine Arbeit», erzählt Nadja stirnrunzelnd.
«Ich war völlig verdutzt. Er war erst wenige Wochen bei uns und erklärte mir, dass meine Grafik komisch aussehe.» Zu ihrem noch grösseren Erstaunen bemerkt Thomas seinen Fauxpas nicht. Im Gegenteil: «Er klopfte mir dann auch noch kumpelhaft auf die Schulter und lachte.»
«Es wirkt alles ganz locker»
Die Bernerin habe erst gar nicht gewusst, wie sie darauf reagieren soll. «Mich störte, dass er mich anfasste. Aber noch schlimmer fand ich, dass er mich für eine Kollegin hält statt für die Vorgesetzte.»
Eine Kaderfrau aus Zürich berichtet, dass sie einer jungen Angestellten einen Auftrag gab. Und diese antwortete prompt: «Ich schaue mal, ob ich dazu komme.»
Ein Generationenkonflikt? Fakt ist: Durch die immer stärker verbreitete Du-Kultur in Unternehmen sind gefühlt auch Grenzen verschoben worden.
Das bestätigt Patric Raemy, Medienexperte an der Universität Freiburg. «Die Du-Kultur soll dabei helfen, die Kommunikation zu erleichtern und niederschwelliger zu gestalten. Die Hierarchie bleibt aber, weshalb es schwierig sein kann, den richtigen Umgang zu finden», sagt der Wissenschaftler.
«Es wirkt zwar alles ganz locker. Aber Vorgesetzte bleiben hierarchisch vorgesetzt. So ganz kumpelhaft ist die Beziehung meistens trotzdem nicht unbedingt», so Raemy.
Dies sei auch für die Generation Z wichtig zu verstehen. Sie müsse sich bewusst sein, dass die Kommunikation je nach Situation angepasst werden muss. «Der Umgang miteinander und die Art der Kommunikation unterscheiden sich von Gruppe zu Gruppe. Junge sprechen untereinander in einer Jugendsprache und haben einen Umgang, der aus Erwachsenensicht etwas speziell sein kann.»
Wichtig sei für sie zu verstehen, dass mit Vorgesetzten nicht auf die gleiche Art kommuniziert werden kann wie mit Kollegen. «Es braucht ein Gespür dafür, wie und mit welchem Mittel wann kommuniziert wird», so Raemy.
Die Wichtigkeit dieses Gespürs betont auch Marlies Whitehouse, Sprachwissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. «Es ist wichtig zu wissen, in welchem Register man sich gerade befindet. In welcher Beziehung man zu der Person steht, mit der man gerade kommuniziert.»
Du-Kultur weit verbreitet
In Schweizer Unternehmen ist die Du-Kultur weiterhin auf dem Vormarsch. Die Swisscom hat sie als Vorreiterin bereits 2008 eingeführt. Bei der Swiss wird seit 2017 geduzt, bei den SBB seit 2018. Dafür konsequent: Bereits in der Bewerbungsphase werden beim Bahnunternehmen potenzielle neue Mitarbeitende geduzt.
Das Universitäts-Kinderspital Zürich hat die Du-Kultur im Jahr 2020 eingeführt – per Abstimmung. 92 Prozent der Belegschaft sprach sich bei einer hohen Wahlbeteiligung für das stufenübergreifende «Du» aus, berichtet CEO Georg Schäppi. «Und ich finde, wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht», zieht Schäppi eine erste Bilanz.
Ihm sei eine anständige Begegnungskultur im Kispi enorm wichtig. Das gegenseitige Hallo sagen im Gang, die Begrüssung neuer Mitarbeiter. «Wir sind ein Team, wir schauen aufeinander, sind freundlich und anständig miteinander.» Da gehöre das Du dazu – aber natürlich auch der gegenseitige Respekt.
Viele positive Erfahrungen
Alle Firmen mit Du-Kultur berichten von positiven Erfahrungen. «Die Unkompliziertheit über alle Hierarchiestufen hinweg schätzen unsere Mitarbeitenden sehr», sagt Kevin Keller von der Medienstelle von Aldi Schweiz. Und Armin Schädeli, Mediensprecher bei der Swisscom sagt: «Unsere Erfahrungen sind positiv – es gab keine Probleme bei der Umsetzung.»
Die Du-Kultur bringt also einige Vorteile mit sich und ist auf dem Vormarsch. Zentral bleibt aber der gegenseitige Respekt, der nicht von einem «Du» oder einem «Sie» abhängig sein sollte. Die Verfehlung des jungen Kollegen von Nadja K. basiert eher auf mangelndem Respekt als auf der Möglichkeit des Duzens.
*Name von der Redaktion geändert