Weihnachtsmarkt: Nerven liegen wegen Menschenmassen blank
O du fröhliche! Die besinnliche Stimmung am Weihnachtsmarkt wird oft durch die riesigen Besucherströme getrübt.
Das Wichtigste in Kürze
- Vorweihnachtsstress und Enge auf den Weihnachtsmärkten lassen die Nerven blank liegen.
- Diebstähle und Streitereien trüben die besinnliche Stimmung.
- Eine Leserin zum Beispiel wurde angerempelt und danach gar verfolgt.
Glühwein, Lebkuchen und Weihnachtsgschänkli posten: Ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt klingt eigentlich besinnlich und gemütlich.
Oft ist er jedoch – gerade abends und am Wochenende – in Wirklichkeit das Gegenteil. Grund sind die riesigen Besucherströme.
Das Anrempeln, nicht Vorwärtskommen und Wegversperren treibt viele Gäste zur Weissglut.
«Steht doch mal auf die Seite, wenn ihr eure Bälger oder Kinderwagen dabei habt!», ärgert sich zum Beispiel ein 27-jähriger Deutschschweizer im Netz über Weihnachtsmarkt-Besucher.
«Und steht nicht mitten im Weg herum», schreibt er auf der Social-Media-Plattform Reddit. «Einfach nur rücksichtslos!»
Viele stimmen zu – der Post erhält mehr als 70 Likes.
«Grosser, breiter Typ» verfolgt Paar auf Weihnachtsmarkt
Ein ähnliches Wut-Erlebnis hatte Nau.ch-Leserin Chloe Mock* (25) kürzlich auf einem gut besuchten Berner Weihnachtsmarkt.
«Ich blieb vor einem Stand stehen, um mir etwas anzuschauen. Es hatte genug Platz, um an mir vorbeizugehen – trotzdem rempelte mich ein grosser, breiter Typ von hinten an.»
Sie sei erschrocken und habe reflexartig geflucht, wie sie erzählt.
«Der Typ rastete aus und pöbelte meinen Freund an – dabei stand er einfach daneben.»
Der breite Mann lässt nicht locker und läuft dem Paar hinterher, obwohl die beiden versuchen, ihn zu ignorieren. «Kannst ja sorry sagen! Nicht weggehen», fordert er.
«Der Assi behauptete plötzlich, mein Freund habe IHN angerempelt, einfach, damit er irgendein Problem haben kann!»
Irgendwann lässt er «zum Glück» von den beiden ab.
Nerven können in Vorweihnachtszeit schneller blank liegen
Die Erlebnisse überraschen Verhaltensforscher Christian Fichter von der Fachhochschule Kalaidos nicht.
«In der Vorweihnachtszeit können die Nerven tatsächlich schneller blank liegen als in anderen Jahreszeiten», sagt er zu Nau.ch.
Dafür gibt es mehrere Gründe: «Etwa der erhöhte Stress durch zeitliche und finanzielle Verpflichtungen rund um die Feiertage.»
Hinzu kommt laut dem Experten die frühe Dunkelheit und das oft graue Wetter, die die Stimmung beeinträchtigen.
Zudem hätten viele hohe Erwartungen an die «besinnliche» Adventszeit – die Realität sieht aber oft anders aus.
Und zuletzt «der enge Raum auf Weihnachtsmärkten, gepaart mit hohen Besucherzahlen».
Weg-Versperrer «fokussieren sich auf eigene Bedürfnisse»
«Was das Phänomen des ‹Im-Weg-Stehens› betrifft: Hier treffen unterschiedliche psychologische Dispositionen aufeinander», sagt Fichter.
Auf der einen Seite die Menschen, die andere durch ihr Stehenbleiben blockieren.
«Sie sind sich der Auswirkungen ihres Verhaltens oft nicht bewusst. Sie fokussieren sich auf ihre eigenen Bedürfnisse und Eindrücke.»
Das müsse nicht böswillig sein, sondern könne auch schlicht mangelnde situative Aufmerksamkeit bedeuten. «Ist sicherlich schon vielen von uns mal passiert.»
Auf der anderen Seite sind die Personen, die sich stark darüber aufregen.
«Das sind häufig Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden und klaren Vorstellungen von sozialen Normen im öffentlichen Raum.»
Reagieren solche Menschen heftig, könne das auch ein Ventil für andere Stressfaktoren sein. «Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das hat wohl auch schon jeder mal erlebt.»
«Potenziell gefährlich»
Was Nau.ch-Leserin Chloe Mock in Bern passiert ist, findet Fichter aber «potenziell gefährlich».
«Solche Situationen entstehen oft, wenn Menschen ihre Frustration an vermeintlich ‹schwächeren› Personen auslassen wollen.»
Immerhin: So heftig, dass die Polizei involviert wird, eskalieren solche Pöbeleien am Weihnachtsmarkt selten. Das zeigt eine Umfrage von Nau.ch unter Deutschschweizer Kantonspolizeien.
Alexander Renner von der Kantonspolizei Zürich ordnet das gegenüber Nau.ch so ein: «Solche Fälle gelangen selten zu uns, da es sich bei Ehrverletzungsdelikten wie etwa Beschimpfungen um Antragsdelikte handelt.»
Heisst: Die Opfer müssten selbst aktiv werden und sich bei der Polizei melden.
Diebe klauen Standbetreiber Portemonnaie
Die Kantonspolizei Aargau kennt zwar keine Fälle von Weihnachtsmarkt-Streitereien. Sprecher Pascal Wenzel sagt jedoch zu Nau.ch: «Es wurden vermehrt Diebstähle gemeldet.»
Auch die Kantonspolizeien Bern und Schwyz warnen vor Langfingern am Weihnachtsmarkt. In Einsiedeln SZ zum Beispiel hat jemand einem Standbetreiber das Portemonnaie geklaut. Damit waren die Tageseinnahmen futsch.
In Zürich nahm die Polizei am Weihnachtsmarkt an der Europaallee zwei Männer fest. Sie hatten einer Besucherin den Rucksack gestohlen.
Kurz: Wichtig ist, am Weihnachtsmarkt aufs Portemonnaie aufzupassen und «weder provozieren noch provozieren lassen», rät die Kapo Graubünden.
*Name von der Redaktion geändert