Wenn Chef in Freizeit anruft, sollst du ihn wegdrücken dürfen
Telefonanrufe oder Emails nach Feierabend – damit ist es für australische Arbeitnehmende vorbei. Wie kommt ein solches Gesetz in der Schweiz an?
Das Wichtigste in Kürze
- In Australien müssen Arbeitnehmer nach Feierabend künftig nicht mehr erreichbar sein.
- Gewerkschaften und Arbeitnehmer würden dies auch in der Schweiz begrüssen.
- Der Arbeitgeberverband hingegen erachtet ein solches Gesetz als unnötig.
PC herunterfahren, Fahrzeug abstellen, Handy oder Werkzeug ablegen und weg: Viele Arbeitnehmende würden sich mit dem Feierabend wohl gerne gedanklich von der Arbeit verabschieden und abschalten können.
Doch dies ist in Wirklichkeit nicht immer möglich. Etwa, wenn die Chefin wegen eines Termins anruft oder der Vorgesetzte per Mail nach einem Dokument fragt. In Australien ist dies künftig aber nicht mehr zulässig.
Denn ein neues Gesetz erlaubt es Arbeitnehmenden dort, Telefonanrufe und E-Mails ausserhalb der Arbeitszeit ignorieren zu dürfen. Ausnahmen gibt es beispielsweise bei arbeitsbedingten Notfällen.
Mit dem neuen Gesetz sollen die Arbeitnehmenden einen besseren Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit finden. Zur Stärkung der psychischen Gesundheit.
Das findet auch in der Schweiz Anklang. Manuela Donati vom Verband «Angestellte Schweiz» betont gegenüber Nau.ch die Wichtigkeit einer gesunden Work-Life-Balance. «Es ist eine Tatsache, dass es in der Schweiz viele stressbedingte Erkrankungen und Burnout-Fälle gibt.»
Gemäss Rechtsanwalt Raphael Ciapparelli von der Kanzlei Bracher & Partner nimmt die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, stetig zu. «Dies ist unter anderem auf das Gesellschaftsbild zurückzuführen, in dem wir leben», sagt er auf Anfrage.
«Wir sind privat 24/7 online. Diese Lebenshaltung dehnt sich auch auf den Beruf aus.»
Gemäss Studien seien bis zu 80 Prozent der Arbeitnehmenden ausserhalb der Arbeitszeit für ihren Arbeitgeber digital erreichbar. Dies erklärt Jurist Kurt Pärli von der Universität Basel auf Anfrage. «Auch die mehrheitlich negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden sind bekannt.»
Dennoch: Wie verbreitet die Erreichbarkeitserwartung in Schweizer Unternehmen sei, könne nicht allgemein so gesagt werden, betont Manuela Donati. «Es ist unterschiedlich nach Branche und Unternehmen.» Branchen- und berufsbedingte Unterschiede bestätigt auf Anfrage auch der Schweizerische Arbeitgeberverband.
Angestellte und Gewerkschaften begrüssen Regelung – Politik will das Gegenteil
Der Verband «Angestellte Schweiz» würde «eine solche, explizite Grundlage», ähnlich wie in Australien begrüssen, erklärt Donati. «Aktuell ist das Verbot der ständigen Erreichbarkeit nur implizit.» Sprich: Die gesetzliche Grundlage ist zu wenig ausdrücklich.
Ein Teil des Parlaments wolle aber momentan in die genau gegenteilige Richtung gehen, so Donati. «In einer parlamentarischen Initiative wird beispielsweise das Recht, während Ruhezeiten nicht erreichbar zu sein, als ‹Schikane› bezeichnet.»
Es geht noch weiter. Laut Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, warnt. Es seien «Bestrebungen im Gang, damit die Arbeitszeiten im Homeoffice noch unregelmässiger werden können». Und, dass «der Arbeitgeber die Ruhezeiten sogar noch unterbrechen kann».
Er bläst drum ins gleiche Horn wie Australien: «Wenn es eine Revision braucht, dann genau das Gegenteil: Kontaktversuche in der Freizeit von Vorgesetzten explizit zu verbieten und zu verhindern.»
Auch Manuela Donati findet: «So ein explizites Gesetz könnte sicher in Streitfragen eine wichtige Grundlage sein. Oder auch ein Reminder, tatsächlich Feierabend zu machen und nach Feierabend nicht zu arbeiten.»
Er erachte ein ganzes Gesetz nicht als notwendig, sagt hingegen Rechtsanwalt Raphael Ciapparelli. Aber: «Es könnte ein Artikel im Schweizerischen Arbeitsgesetz eingefügt werden. Es muss ein gesamthaftes Umdenken stattfinden. Mit einem Gesetzesartikel könnte ein Anstoss dazu stattfinden.»
Arbeitgeberverband lehnt Gesetz ab
Ein solches neues Gesetz brauche es in der Schweiz nicht, sagt hingegen Daniella Lützelschwab, Leiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. «Es existieren bereits rechtliche Grundlagen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diesbezüglich ausreichend schützen.»
Dass Arbeitnehmer ausserhalb der Arbeitszeit erreichbar sein müssen, betreffe insbesondere die höher qualifizierten Personen.
Eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten würde der Verband begrüssen: «Insbesondere eine grössere Arbeitszeitautonomie trägt zu einer besseren Bewältigung von Stresssituationen bei», so Lützelschwab.
«Vorgaben bei der Arbeitszeit und der Arbeitserledigung führen dagegen eher zu mehr Stress als zu besserer Erholung.» Diverse Studien würden dies eindrücklich zeigen.