Zustellerin verdient nur «12 Franken pro Stunde»
Wenn Zusteller den versprochenen Lohn erhalten wollen, müssen sie sich sputen. Denn die Unternehmen rechnen mit Wegzeiten statt effektiv geleisteten Stunden.
Das Wichtigste in Kürze
- Zusteller arbeiten im Stundenlohn, allerdings nicht auf tatsächlich geleistete Stunden.
- Die Unternehmen zahlen stattdessen für vorher festgelegte Wegzeiten.
- Wer langsam arbeitet, verdient schlechter. Gewerkschaft weiss von solchen Fällen.
Es ist noch früh, wenn die ersten Zusteller mit Handkarren im Schlepptau von Briefkasten zu Briefkasten tingeln. Oder eher hetzen. Denn: Wer den versprochenen Lohn auch erhalten will, muss schnell genug sein.
Was mit den anderen geschieht, zeigt der Fall von Monika Wernli, über den das Onlinemagazin «Das Lamm» berichtete. Ende 2019 wurde Wernli von der Quickmail AG angestellt – in Teilzeit, wie die meisten Zustellerinnen und Zusteller. «Im ersten Monat kam ich für die Arbeit, die ich geleistet hatte, auf durchschnittlich zwölf Franken Lohn pro Stunde», sagt Wernli.
Dabei verspricht die Quickmail AG auf ihrer Website: «Die Vergütung liegt bei mindestens 21,67 Franken pro Stunde.» Wie ist dieser Unterschied zu erklären?
Stundenlohn ist nicht gleich Stundenlohn
Die Diskrepanz rührt von einem etwas unorthodoxen Verständnis des Worts «Stundenlohn» in der Branche. Im Grundsatz richtet sich dieser nicht nach tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern nach vorher berechneten Wegzeiten. Auch die Konkurrenten Presto AG und Direct Mail Company AG – beides Tochterunternehmen der Post – rechnen so ab. Das sei so gängig und praktikabel, sagt eine Post-Sprecherin auf Anfrage des Onlinemagazins.
Fair ist das System, wenn die Unternehmen die Wegzeit so festlegt, dass sie mit der tatsächlichen Arbeitszeit übereinstimmt. Monika Wernli hat eigenen Angaben zufolge nie mehr als 18 Franken die Stunde verdient, also weniger als Quickmail verspricht.
Catalina Gajardo, Sprecherin der Gewerkschaft Syndicom, sagt: «Ein Nachteil des Arbeitszeitmodells ist, dass die Löhne der Arbeitnehmenden nicht mit den tatsächlich geleisteten Stunden übereinstimmen.»
Die Unternehmen widersprechen; die Wegzeiten würden fair berechnet, so deren Konsens. Auf Basis «eines durchschnittlich schnellen Mitarbeiters», wie es bei der Post heisst. Bei einzelnen Mitarbeitenden könne es «zu leichten Abweichungen kommen». Habe ein Mitarbeiter aber den Eindruck, dass die Zeiten nicht stimmten, habe er Anspruch auf eine Neuberechnung.
Syndicom weist darauf hin, dass viele Zusteller es ohnehin schwer hätten im ersten Arbeitsmarkt. «Deswegen trauen sich auch viele Angestellte nicht, sich gegen tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen», sagt Gajardo.
Schlechte Löhne sind keine Einzelfälle
Wie es um die Löhne genau steht, lässt sich nicht abschliessend sagen. Alle drei Unternehmen arbeiten mit selbst bestimmten oder in GAVs niedergeschriebenen Mindestlöhnen. Zu den Durchschnittslöhnen wollte man sich bei der Post aber nicht äussern. Weil in manchen Kantonen Mindestlöhne gelten, gäbe der durchschnittliche Verdienst ein «verzerrtes Bild ab».
Bei Quickmail betrug der durchschnittliche Stundenlohn im Mai eigenen Angaben zufolge 22,32 Franken. Die Hälfte der Mitarbeitenden verdiente über 21,91 Franken. Diese Zahlen spiegeln aber nicht den Lohn auf tatsächlich geleistete Arbeitsstunden wider.
Monika Wernlis Zwölf-Franken-Stundenlohn ist laut Syndicom kein Einzelfall. Die Gewerkschaft hat eine nicht-repräsentative Umfrage unter Quickmail-Angestellten durchgeführt, 55 Mitarbeitende nahmen teil. «66 Prozent der Befragten haben angegeben, dass die Sortierung und die Zustellung der Sendungen nicht in der vorgegebenen Zeit zu schaffen ist», so Gajardo.