Barbara Keller (SP): Corona ist auch eine Krise der Care-Arbeit
Die von Frauen geleistete Care-Arbeit muss neu und gerechter organisiert werden, schreibt die Berner SP-Politikerin Barbara Keller in ihrem Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Barbara Keller ist Feministin, Gewerkschafterin und SP-Politikerin.
- Sie kandidiert am 29. November 2020 in Bern für den Stadtrat.
Stay safe, stay home. In der aktuellen Situation heisst Solidarität, möglichst zu Hause bleiben und Kontakte meiden. Für mich, eine junge Frau, welche ihre Arbeit und ihr Studium problemlos im Homeoffice meistern kann, kein Problem.
Doch viele Mütter von kita- und schulpflichtigen Kindern geraten in dieser Ausnahmesituation an ihre Grenzen.
Die Doppelbelastung aus Homeoffice und Homeschooling ist mit unglaublichem Stress verbunden. Während die neue Alltagssituation für die einen länger schlafen und kein Pendelweg bedeutet, ist sie für andere kaum zu meistern.
Die Erziehung von Kindern, die Pflege von kranken Menschen, die Betreuung von älteren Personen – das alles ist Arbeit, die unsere Welt am Laufen hält. Diese Care-Arbeit wird seit jeher mehrheitlich von Frauen geleistet – sehr oft unbezahlt.
In der Schweiz arbeiten Frauen im Schnitt 1’557 Stunden pro Jahr gratis – das entspricht dem Äquivalent einer 80-Prozent-Stelle. Dies führt zu einer Doppelbelastung von Familie und Beruf und erfordert oft ein tieferes Pensum bei der bezahlten Arbeit. Unsichtbar. Gratis. Essenziell.
Wenn Frauen Kinder erziehen, tun sie das gratis
In unserer Gesellschaft gibt es also Arbeit, die gar nicht als Arbeit anerkannt wird, für die es nicht nur kein Geld, sondern auch keine Ferien und – besonders problematisch – auch keine Rente gibt.
Wenn Frau nämlich Wäsche wäscht, putzt, Kinder erzieht, betagte oder kranke Eltern pflegt, einkaufen geht, dann tut sie das gratis.
Diese Arbeit ist oft unsichtbar, hat aber ein gigantisches Ausmass: Gemäss Bundesamt für Statistik leisten Schweizer Frauen jährlich unbezahlte Arbeit im Wert von 248 Milliarden Franken.
Insgesamt wird in der Schweiz mehr unbezahlte Care-Arbeit verrichtet als bezahlte Arbeit. Kritiker mögen nun sagen, dass diese Arbeit Privatsache ist und auch im Privaten bleiben soll. Paare sollen sich halt anders organisieren.
Dem entgegne ich, dass ein Grossteil unser «wirtschaftlichen» bezahlten Leistung nur möglich ist, dank der Rückendeckung durch unbezahlte Frauenarbeit ist. Ohne diese würde diese Gesellschaft innert Tagen zusammenbrechen.
Männer im Chefsessel, Frauen im Vorzimmer. Wer heute unbezahlte Care-Arbeit leistet, nimmt eine Reihe von teilweise beträchtlichen Nachteilen in Kauf.
Das Problem der Doppelbelastung
Durch die Doppelbelastung werden Frauen gezwungen, der bezahlten Arbeit mit einem tieferen Pensum nachzugehen. Dies hat grossen Einfluss auf die Sozialversicherungen: So reichen die Renten im Alter oft nicht aus. Altersarmut ist weiblich. Auch die Beförderung scheitert oft am Pensum. Frauen können deshalb oft keine Führungsrolle in der Wirtschaft einnehmen.
Wie sieht es in der Politik aus? Wenn eine Frau alleine schon 30 Stunden pro Woche gratis arbeitet, obendrauf oft noch einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgeht, wie soll sie dann noch Zeit finden, für ein politisches Amt zu kandidieren?
Das Resultat ist bekannt, weisse alte Männer bestimmen sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Politik. Und wo schwingen diese Herren den Sparhammer? Auf dem Buckel von Frauen. Denn hier ist es am einfachsten.
Wenn bei der bezahlten Care-Arbeit bezahlt wird, springen die Frauen im Privaten in die Bresche. Wie soll die Care-Arbeit von morgen organisiert sein?
Wer in Zukunft unbezahlte Care-Arbeit übernimmt, soll weder bei der beruflichen Laufbahn noch bei der sozialen Absicherung benachteiligt werden. Damit das auch geschehen kann, braucht es ein flächendeckendes Netz an Kindertagesstätten, die wie die Schulen für alle zugänglich und kostenfrei sind.
Denn heute kann nur ein kleiner Teil der Erwerbstätigen die Betreuung auslagern. Aber auch Tagesschulen und Mittagstische müssen ausgebaut werden. Denn Kinderbetreuung ist keine Privatsache!
Wichtigkeit von Care-Arbeit muss anerkannt werden
Wir werden alle mal älter und sind auf Institutionen angewiesen, welche uns in diesem Lebensabschnitt unterstützen. Altersheime, Pflege- und Betreuungsnetzwerke sowie die Spitex müssen ausgebaut werden. Denn nicht alle haben Kinder, welche im Alter die Pflegearbeit ihrer Eltern übernehmen können. Das alles gehört zum Service public und sollte den Menschen niemals aus Kostengründen verwehrt bleiben.
Die Wichtigkeit von Care-Arbeit muss endlich anerkannt und gewürdigt werden. Klatschen war gestern, heute ist Zahltag. Auch die bezahlte Care-Arbeit wie Pflege und Betreuung steht zunehmend unter Druck.
Genau wie die unbezahlte Care-Arbeit wird auch die bezahlte Care-Arbeit mehrheitlich von Frauen ausgeführt. Sie ist miserabel bezahlt aber, wie uns die Corona-Krise in Erinnerung gerufen hat, unabdingbar.
Das Personal wurde mit einem neuen Virus konfrontiert, mit täglich ändernden Dienstplänen, mit endlosen Arbeitstagen, zahlreichen Überstunden und mit der ständigen Angst, sich selbst oder Angehörige anzustecken.
Dazu kam die Aufhebung wichtiger Schutzvorschriften des Arbeitsgesetzes in den Spitälern.
Trotz all dieser Widrigkeiten gibt das Gesundheitspersonal täglich alles. Diese immense Leistung wurde von der Bevölkerung mit landesweiten Klatschaktionen gewürdigt. Nun müssen Taten folgen.
Die Löhne und Arbeitsbedingungen in diesen Berufen entsprechen dieser Systemrelevanz aktuell in keiner Art und Weise. Es braucht faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und Respekt für diese unglaublich wichtige Arbeit.
Ich will eine Gesellschaft, welche die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt und nicht Profite einiger weniger. Deshalb muss die primär von Frauen geleistete Care-Arbeit neu und gerechter organisiert werden.