Corina Liebi (GLP Bern): Chancengleichheit oder Gleichstellung

Corina Liebi
Corina Liebi

Bern,

Chancengleichheit liegt in der Verantwortung aller einer Gesellschaft. In diesem Gastbeitrag wird dazu aufgerufen, gemeinsam diese Verantwortung wahrzunehmen.

Corina Liebi
Corina Liebi ist Berner Stadträtin - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Dieser Gastbeitrag fordert Chancengleichheit statt Gleichstellung für alle Geschlechter.
  • Es gibt viele Mittel, mit welchen man für Chancengleichheit einstehen kann.

Sie haben es bestimmt schon gehört: Heute findet schweizweit der Frauenstreik statt. Das möchte ich zum Anlass nehmen meine Gedanken zum Thema Gleichstellung mit Ihnen zu teilen.

Wir Frauen sind uns einig: Eine Gleichstellung der Geschlechter ist heute noch nicht erreicht. Doch was heisst Gleichstellung eigentlich? Ich persönlich verstehe darunter nicht, dass in Verwaltungsräten eine Frauenquote von 50 Prozent eingeführt wird oder dass ich als Frau spezifische Förderung erhalte, die anderen Geschlechtern in dieser Form nicht offensteht.

Gleichstellung hat für mich viel mit Fairness zu tun, und zwar gegenüber allen Geschlechtern gleichermassen. Das ist auch der Grund, warum ich persönlich lieber von Chancengleichheit als von Gleichstellung spreche. Denn unabhängig vom Geschlecht sollte jede Person mit gleicher Qualifikation die gleichen Möglichkeiten haben, einen gleichwertigen Lohn zu erhalten und nicht durch Mutterschaft oder andere Umstände benachteiligt zu werden.

Und das führt uns nun auch schon zum Grundproblem: Lohngleichheit bei gleicher Qualifikation ist bis heute leider noch immer nicht in allen Berufen gegeben.

Frauen demonstrieren für die Lohngleichheit.
Frauen demonstrieren für die Lohngleichheit. - Keystone

Diese Problematik ist mitunter ein Grund dafür, warum viele Frauen heute streiken. Sie setzen sich dafür ein, den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen zu erhalten und auch im Alter besser abgesichert zu sein. Schaut man insbesondere bei der Rententhematik genauer hin, wird deutlich, dass diese Unterschiede nicht zwingend aus einer Ungleichbehandlung der Geschlechter resultieren, sondern aus strukturellen Problemen, die der Staat selbst geschaffen hat.

So haben beispielsweise viele Frauen, die heute im Rentenalter sind, in jungen Jahren ihre Stellenprozente zur Kinderbetreuung massiv reduziert und damit nur relativ wenig in ihre eigene berufliche Vorsorge investiert, was sich bei der Pensionierung rächt.

Die Konsequenzen, welche aus einer Veränderung der Rollenbilder über die Zeit resultieren, wurden bei der Einführung unserer Altersvorsorge zu wenig berücksichtigt. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch verständlich, weil sich damals wohl niemand ausmalen konnte, welche gesellschaftlichen Entwicklungsschritte über die nächsten Jahrzehnte passieren würden.

Die Frage, die wir uns nun aber stellen müssen, ist, wie gehen wir damit um, und vor allem, was können wir künftig besser machen? Denn eines ist klar: Eine der dringendsten Baustellen ist die Reform unserer beruflichen Vorsorge.

Die aktuellen Systeme müssen überdacht und an die heutigen Anforderungen angepasst werden, um sicherzustellen, dass alle Geschlechter von einer angemessenen Altersversorgung profitieren können.

Dabei ist wichtig, dass die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen von Frauen berücksichtigt werden, insbesondere in Bezug auf die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit aufgrund von Mutterschaft oder allfällig dadurch entstandene Beitragslücken.

Um Chancengleichheit zu erreichen, müssen wir als Gesellschaft gemeinsam handeln. Dies erfordert den Dialog zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren, denn nur durch eine breite Zusammenarbeit und den Willen zur Veränderung, können wir langfristige Fortschritte erzielen.

Werden Sie sich am 14. Juni am Frauenstreik beteiligen oder engagieren?

Ich störe mich ein bisschen daran, dass der Frauenstreik vermehrt von linken Parteien als Wahlkampfveranstaltung instrumentalisiert wird. Dadurch geht die Stimme jener Bürgerinnen unter, die sich ausserhalb der Politik für ihre Anliegen Gehör verschaffen wollen.

Ich persönlich erachte meine Arbeit im städtischen Parlament daher als zielführender als die Teilnahme am heutigen Frauenstreik. Denn dort können konkrete politische Massnahmen und Reformen erarbeitet werden, die zu einer echten Veränderung führen.

Chancengleichheit zu erreichen, ist kein Kampf, den wir Frauen allein austragen müssen. Chancengleichheit ist eine Verantwortung, die wir alle tragen und an der sich alle gleichermassen beteiligen müssen.

Diese Verantwortung wahrzunehmen, ist auf viele Arten möglich, sei dies durch eine Teilnahme am heutigen Frauenstreik oder auf einem anderen Weg. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft zu schaffen. Jeder noch so kleine Beitrag zählt!

Zur Autorin: Corina Liebi ist Berner Stadträtin.

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