Felix Brun: Karl Schmid und die Verschontheit der Schweiz in Europa
Der Germanist Karl Schmid war mit der weitaus erfolgreicheren Kabarettistin Elsie Attenhof verheiratet. Ein Kommentar von Europa-Wissenschaftler Felix Brun.
Das Wichtigste in Kürze
- Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
- In diesem Artikel befasst er sich mit dem Germanisten Karl Schmid.
Der Germanist Karl Schmid ist ein Sohn des Zweiten Weltkriegs: Der Krieg prägt ihn wie nichts anderes, prägt auch die Beziehung zu seiner Frau, der bekannten Kabarettistin Elsie Attenhofer.
1940, mitten im Krieg, wird Hals über Kopf geheiratet: Schmid, zu dieser Zeit im Generalstab der Schweizer Armee auf dem Gotthard stationiert, eilt zurück nach Zürich, einen Tag später ist er wieder zurück in den Zentralschweizer Alpen.
Die Beziehung zu seiner Frau ist nicht einfach zu durchleuchten. Immer wieder bricht bei Schmid Neid aus über die glanzvolle Karriere seiner Frau. Kaum ist sie aber auf Tournee, beginnt er sie zu vermissen.
Die Frau, die Karriere macht und der Mann, der zuhause bleibt und zu den beiden gemeinsamen Kindern schaut: Das war von Schmid so nicht vorgesehen. Für Schmid ist diese Arbeitsteilung eine Schmach.
Was er alles leistet, als Vater, als Lehrer und Germanist, als Liebender, das scheint er immer wieder zu vergessen. Weil Schmids Leistungen von der Gesellschaft nicht ausreichend honoriert werden, scheinen sie nichts Wert zu sein.
Immer wieder fällt Schmid in schwere Depressionen. Einsamkeit, das Gefühl allein gelassen worden zu sein von seiner Frau, fehlende Anerkennung: Karl Schmid nennt diesen Zustand eine «Einsamkeit in der Verschontheit».
Karl Schmid und die Verschontheit der Schweiz im Nachkriegs-Europa
Karl Schmid erkennt diese Verschontheit auch als einen psychologischen Zustand der Schweiz im Europa der Nachkriegszeit. In seinem wohl berühmtesten Werk «Unbehagen im Kleinstaat» versucht er aufzuzeigen, wie Schweizer Intellektuelle mit dieser Verschontheit umzugehen pflegten.
Auf ihrer Suche nach Grösse hätten Schweizer Intellektuelle immer wieder erkennen müssen, dass es diese Grösse so nicht gibt. Die Flucht in die grossen Nachbarländer habe dann für viele als Ausweg gegolten.
Nur Jacob Burckhardt habe in der Kleinräumigkeit der Schweiz auch etwas Grosses sehen können, so Schmid: Nirgends sei für Burckhardt die Freiheit des Einzelnen grösser als in einem Kleinstaat, hierin liege die Wahre Grösse der Schweiz.
Schmid legt sich hier eine Theorie zur Geltung der Schweiz zurecht, die natürlich auch eine Theorie für seine eigene Lebenssituation darstellt. Wie kann man im Kleinen gross werden, das ist jetzt die zentrale Frage für Karl Schmid.
Er findet die Antwort im Geistigen: Die intellektuelle Arbeit hilft ihm über manche Krisen hinweg, sie schützt und stützt ihn. Dasselbe lässt sich auch über die Schweiz sagen.
«Wir wollen uns den Glauben nicht rauben lassen an eine Zukunft, in der wir wenigstens in dem Betracht einmal wieder Weltgeltung bekämen, dass unsere neutrale Form der kulturellen Toleranz und Offenheit beispielhaft würde», sagt Schmid einmal.
Die Schweiz nicht als Randstaat sondern als Kernstück
«In einem solchen innern Reich der europäischen Kulturen wäre die Schweiz kein Randstaat mehr, sondern Kernstück.» Geistige Grösse, das also könnte die Schweiz in den Nachkriegsjahren auszeichnen. Wird sich die Schweiz ihrer Leistungen bewusst, kann sie Europa gar als Vorbild dienen.
Geistige Grösse aber bedeutet in erster Linie eines: Auseinandersetzung. Man muss andere Meinungen zulassen und wahrnehmen, man muss seine eigene Meinung prägnant und verständlich äussern, man muss auch Kritik einstecken können und flexibel sein.
Es sind Eigenschaften, wie sie von Freunden und Zeitgenossen bei Karl Schmid immer wieder beobachtet werden. Hermann Burger etwa schreibt, dass Schmid eine ungeheure «Bereitschaft zum Dialog», einen «nie erlahmenden Willen zur Verständigung» besessen habe.
Es sind aber auch Eigenschaften, die tatsächlich in der Schweiz in grossem Masse vorhanden sind: Die Schweiz, nicht als ein Ort der materiellen Grösse, sondern als Ort des Dialogs, der Kompromissfindung, der Machtteilung. Die Schweiz als ein Ort der geistigen Auseinandersetzung eben.
*****
«Sprechen wir über Europa»
Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.