«Klar positiv»: Martin Bäumles grosse Corona-Prognose
Atmosphärenwissenschaftler und Nationalrat Martin Bäumle (GLP) analysiert den Pandemieverlauf und wagt eine Prognose. Diese fällt durchwegs positiv aus.
Das Wichtigste in Kürze
- Atmosphärenwissenschaftler und GLP-Nationalrat Martin Bäumle analysiert die Pandemie.
- Sein Modell erkennt keine massive höhere Ansteckungsfähigkeit der britischen Variante.
- In der Rubrik «Stimmen der Schweiz» präsentiert er seine Ergebnisse.
Wie entwickelt sich die Corona-Pandemie in der Schweiz? Seit Monaten beschäftige ich mich mit dieser Frage. Dazu benutze ich ein eigenes Modell, welches die aktuelle Entwicklung anzeigt und in Szenarien eine Prognose wagt.
Bisher lag ich mit meinen Prognosen recht gut. Unsicherheit ergibt sich aktuell aufgrund der Mutationen. Doch in meinem Modell sehe ich keine grosse Wahrscheinlichkeit für eine massiv höhere Ansteckungsfähigkeit der britischen Variante von 50 Prozent oder mehr. Ich erwarte eher einen tieferen Prozentsatz von 5 bis 20 Prozent.
Coronavirus: Positiver Schweizer Trend im Jahr 2021
Kalenderwoche (KW) 6 war vergleichbar, sogar etwas besser als KW 5. Trend damit weiter klar positiv seit nun drei Wochen. Setzt sich dieser Trend fort, könnte die Marke 500 Fälle anfangs März unterschritten werden und ab Mitte März könnte die Viralität den Wert von 0.05% unterschreiten und damit wären einzelne kleine Lockerungen denkbar (Szenario Basis mit Wahrscheinlichkeit ca. 65%).
KW 5 war minimal langsamer als KW4, aber eine etwas langsamere Entwicklung. Trotzdem weiter vorsichtiger Optimismus.
KW 4: Mit den zusätzlichen Entscheiden des Bundesrates hat sich der Trend - wie erwartet - in KW 4 etwas verbessert. Dies nach einer KW3 mit einer Stagnation und einer KW 2, welche gut aussah.
Damit wurde die Entwicklung volatiler - die Massnahmen wie insbesondere die Schliessung von Restaurants zeigten nach den Festtagen die erhoffte Wirkung, wurden aber von anderen Effekten (mutmasslich Schulen - vor allem der oberen Klassen) überlagert.
Massnahmen weiter umsetzen
Die Schweiz kann mit den beschlossenen Massnahmen, deren Verlängerung (erfüllt) und weiteren vom Bundesrat ab 18.01. und 25.01. beschlossenen Massnahmen die Pandemie schrittweise unter Kontrolle bringen. Dazu gehören zum Beispiel verbindliche 2-Familienregel (erfüllt) oder eine Homeoffice-«Pflicht» (erfüllt).
Möglichst digitaler oder Hybrid-Unterricht für Schulen ab Oberstufe ist teilweise fehlend und ein Risiko, wöchentliche Tests können das kompensieren. Auch dazu gehört die Prüfung Hybridunterricht in Primarschulen (offen) und/oder wöchentliches Testscreening (hier hat Bundesrat nachgebessert, Umsetzung hapert noch) und eine PCR-Testpflicht (max. 48h).
Ebenso 5-Tage Quarantäne und Antigen-Testpflicht für Touristen bei Einreise und 5-Tage Quarantäne und Testpflicht bei Reiserückkehrern aus anderen Ländern mit 7-Tage-Inzidenz über 100 - auch hier geht der Bundesrat in die richtige Richtung. Dies ist auch zur Stabilisierung der tieferen Werte und im Hinblick auf spätere erwünschte Lockerungen im Inland nötig.
Verlängerung war richtig
Die Verlängerung und Ausdehnung der Massnahmen waren richtig, bis die Fallzahlen deutlich tiefer sind und gezielte Massentests und ein besseres und schnelleres Contact Tracing mit «Rückwärts-Trajektorien» bis 7 Tage zurück möglich sind.
Damit können wir aus der 2. Welle herauskommen und eine Dritte vermeiden. So wären gezielte Öffnungen mit Schutzkonzepten und damit mehr Freiheiten für alle wieder möglich.
Zudem ist die Impfplanung parallel massiv zu beschleunigen und die Kapazität schnellstmöglich auf 100'000-200'000/Tag zu erhöhen. Es ist eine rasche und breite Impfung anzustreben - neben den «Risikogruppen» sind rasch auch für die «mobilen Gruppen» Impfungen zu ermöglichen.
Präsenzunterricht an Schulen ist ein unnötiges Risiko
Dank den Entscheiden ist dieser Weg wieder möglich. Ob das basis- oder das basisplus-Szenario eintrifft, ist aber weiter offen, Basis ist aber aktuell wahrscheinlicher. Das pessimistische Szenario bleibt abgeschwächt und aktuell deutlich weniger wahrscheinlich, während das optimistischere Szenario - ohne Contact Tracing bis 7 Tage zurück, viel schnellere und digitale Meldungen und viel mehr Testen - weiterhin ausser Reichweite ist.
TTIQ (TTIQ = Testen, Tracen, Isolation, Quarantäne) 2 (bisher) /4 (neu zwingend) oder bis 7 Tage zurück (notwendig) und Dunkelziffer (DZ) klar über 2, klar unter 2 oder unter 1.5 sind matchentscheidend.
In gewissen Kantonen wurde ab 11.1. auch auf der Oberstufe und in Gymnasien wieder Präsenzunterricht gestartet. Dies wurde immer noch als unnötiges Risiko beurteilt, welches sich im Anstieg der KW 3 im Modell leider als negativer Effekte angezeigt hat.
Basisszenario wahrscheinlicher
Die Chance, dass das Basisszenario weiter gilt, ist in KW 4, 5 und 6 weiter gestiegen. Die Viralität sinkt leicht weiter auf ca. 0.13 % (liegt damit noch einen Faktor 3 über einem «sicheren» Wert und rund einen Faktor 1.5 über noch «vertretbarem» Wert) gemäss Definition aus meinem Modell.
Der «value infectous» ist nach dem Anstieg über die Feiertage ab dem 06./07.01.21 deutlich auf unterkritische Werte abgesunken, ist dann aber in der KW 3 wieder klar angestiegen in Richtung kritische Werte. In KW 4 ist er wieder leicht gesunken und Trend in KW5 ist fast stabil zu KW 4 und in KW 6 leicht besser.
So wäre es wieder etwas klarer denkbar, das ab Mitte/Ende Februar die Kontrolle der Pandemie möglich wird. Die Fallzahlen könnten so im Optimum zwischen dem 26.02. und 04.03.21 500 pro Tag erreichen, was etwas mehr als eine Woche später ist, als nach KW 2 erhofft. Dies mit den Verlängerungen und den gezielten Verschärfungen seitens Bund und Kantone.
Die Notwendigkeit der Verlängerung der Massnahmen und weiterer Verschärfungen ist eine direkte Folge der «verpassten Chancen» im November und vor Weihnachten und dem immer zu langen Zuwarten. Die Werte sind später und langsamer gesunken als es möglich gewesen wäre. Nun kommen wohl die ungenügenden Massnahmen / zu frühen Öffnungen in Schulen als erschwerender Faktor hinzu, womit für die Sportferien zusätzliche Risiken da sind.
Zwingend ist eine Implementierung von regelmässigen (min 1x pro Woche) Reihentests an Schulen nach den Sportferien. Die Dunkelziffer in diesem Szenario wird aktuell auf 1.88 geschätzt, was etwas wahrscheinlicher scheint. Wahrscheinlichkeit aktuell stabil um 65%.
Die Situation bleibt fragil
Weiter noch etwas reduziert bleibt die Wahrscheinlichkeit des Basisplus Szenarios, in welchem die Fallzahlen zwar auch weiter sinken sollten, aber klar langsamer und die Viralität höher bleibt (aktuell - nach Absinken in KW 2 und Stagnation in KW 3 in KW 4, KW 5 und KW 6 wieder leicht am sinken - nun knapp unter 0.17 %), die Dunkelziffer wird dabei etwas reduziert bei 1.98 angenommen, was immer noch zu hoch für eine sichere Kontrolle des Virus ist. Die Fallzahlen könnten zwischen dem 15.3. und Ende März die 500 pro Tag unterschreiten, was eine Verlängerung von rund 2-3 Wochen sind gegenüber der Schätzung nach KW 2 wäre.
Dieses Szenario bleibt so bis in den Frühling fragil bzw. die aktuellen Massnahmen können viel länger nicht oder nur teilweise gelockert werden ohne das Risiko eines Abgleitens. Wahrscheinlichkeit aktuell bei 35 %.
Pessimistisches Szenario weiterhin möglich
Ein Risiko besteht weiterhin, dass das Basisplus in das pessimistische Szenario abgleitet. Dazu braucht es nur geringe Verschlechterungen des «value infectous». Wahrscheinlichkeit aktuell gegen 5 % - ausser GB-Mutation ist erstens 50%/70% schneller – was ich aufgrund meiner Datenanalyse für GB, immer noch nicht glaube - ich erwarte eher 5 % bis max. 20 % - und zweitens «Mutante» setzt sich in der CH fest.
Zu frühe globale Öffnungen (z.B. Restaurants, Bars) und zu zögerliches Handeln an Schulen (v.a. Testen), fehlendes Screening (Firmen) und zu wenig Massnahmen bei Ein- und Rückreise gerade vor/während und nach den Sportferien könnten die Erfolge (wieder) zunichte machen und die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios massiv erhöhen!
Ein optimistischeres Szenario ist ohne Massentests und umfassendes, digitales und viel schnelleres TTIQ mit einer Reduktion der DZ auf 1.5 aktuell leider kaum möglich.
Die Wettersituation mit tieferen Temperaturen und mehr Trockenheit in den Innenräumen ist ein eher negatives Signal, das bei Massnahmen immer im Auge behalten werden sollte. Die in den letzten Tagen wärmere Wetterentwicklung war dagegen eher vorteilhaft - aktuell endet wieder eine sehr kalten Periode und es wird etwas wärmer.
Fazit
Wir müssen nun gemeinsam die Massnahmen konsequent einhalten und weiter gezielt nachbessern, um die Fallzahlen zuerst unter 500/Tag - dann unter 300 zu senken, die Dunkelziffer unter 1.8 besser unter 1.5 mit einem umfassenderen TTIQ inkl. Verbesserung bei der Covid-App und die Chance für eine Kontrolle des Virus und damit schrittweise kleine Lockerungen mit ergänzenden Schutzkonzepten (wie Einhaltung erhöhter Luftqualitätsanforderungen bezüglich CO2 und Feuchte) ab anfangs März zu ermöglichen.
Details zu der von mir verwendeten Methode finden Sie auf meiner Homepage zu einem «Smart Restart».