Kovic: «Dummheit ist sexy – willkommen in der Idiokratie!»
«Menschen, die überhaupt nicht dumm sind, lassen sich zunehmend für Dumm verkaufen», schreibt Marko Kovic in seiner Kolumne. Der Grund: Es fühle sich gut an.
Das Wichtigste in Kürze
- Der bekannte Sozialwissenschafter Marko Kovic ist neu im Nau.ch-Kolumnisten-Team.
- Dummheit sei heute ein Lifestyle geworden, schreibt Kovic in seiner zweiten Kolumne.
Ende Dezember erklärte Elon Musk, der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sei ein «antidemokratischer Tyrann», weil dieser Musks Plattform X kritisierte. Steinmeier werde die nächste Wahl verlieren.
Bloss: Im Februar findet in Deutschland die Bundestagswahl statt, nicht die Wahl des Bundespräsidenten. Steinmeier ist noch bis zum 18. März 2027 Bundespräsident.
Steinmeier kann gar keine Wahl verlieren
Und: Danach tritt Steinmeier nicht mehr an. Es gibt nämlich eine Amtszeitbeschränkung für den Bundespräsidenten. Nach zwei Amtszeiten ist Schluss. Steinmeier kann keine Wahl verlieren, weil er nie mehr zur Wahl antritt.
Elon Musks Äusserungen zu Frank-Walter Steinmeier sind gleichermassen emotional wie sinnentleert. Sie haben keine inhaltliche Substanz, über die man diskutieren könnte. Es ist blosser Lärm. Für den es grossen Beifall gibt.
Diese kleine Episode ist sinnbildlich für einen grösseren Wandel der politischen Kultur. Ideen und Argumente werden immer unwichtiger. An ihre Stelle tritt pure, ungefilterte und offen gefeierte Dummheit. Wer am meisten Krach macht, hat recht. Demokratie wandelt sich zunehmend zu Idiokratie. Zu einer Gesellschaft, die von Idioten regiert oder bevölkert wird.
Anti-Intellektualismus ist das Gebot der Stunde
Als Kind der 90er bin ich mit einem gewissen Optimismus aufgewachsen, dass das 21. Jahrhundert eine Ära des ungebremsten Fortschritts sein wird.
Stattdessen diskutieren wir heute, ob die Erde flach ist, ob Impfungen in Wahrheit nur Gift sind, ob es biologische Evolution wirklich gibt. Und ob man mit Tieren telepathisch reden kann, ob Ausserirdische die Pyramiden gebaut haben.
Was ist schiefgegangen?
Wenn ich von Dummheit rede, meine ich nicht, dass Menschen dumm geboren werden.
Die Dummheit, mit der wir es heute zu tun haben, ist wie eine Brille, die man freiwillig aufsetzt. Ein Lifestyle. Menschen sind nicht von Natur aus dumm, lassen sich aber zunehmend für dumm verkaufen. Weil es sich gut anfühlt.
Eine zentrale Idee der Aufklärung ist, dass wir unserem Bauchgefühl misstrauen müssen. Um zu verstehen, was wahr ist, müssen wir logisch sauber argumentieren und Überzeugungen mit empirischer Evidenz begründen, anstatt uns von blossen Gefühlen leiten zu lassen.
Bequemlichkeit als mutige Tugend
Das ist aber ziemlich mühsame Arbeit. Es ist viel bequemer, einfach zu glauben, was sich wahr anfühlt.
Genau diese Bequemlichkeit wird heute als mutige Tugend gefeiert. Was man nicht unmittelbar mit den eigenen Sinnen wahrnimmt und spürt, ist falsch, ist fake.
Wer etwas anderes behauptet, ist Teil der grossen Verschwörung. Maximal einfache Antworten auf komplexe Fragen, die natürlich immer das bestätigen, was man schon vorher glaubte. Das ist der Geist des neuen Anti-Intellektualismus. Dummheit ist sexy.
Dumm klickt gut
Dass Dummheit ausgerechnet heute Überhand nimmt, ist kein Zufall. TikTok, Twitter, YouTube, Instagram: All die Social-Media-Plattformen, die heute unser Leben dominieren, sind Dummheits-Maschinen. Nicht aus Bosheit, sondern einfach, weil das ein gutes Geschäftsmodell ist.
Was wir auf Social Media sehen, ist nicht zufällig. Die Plattformen sind so gebaut, dass uns Dinge serviert werden, die uns maximal lang am Bildschirm kleben lassen.
Je emotionaler, desto besser: Was uns Angst macht, geil macht, wütend macht, bindet unsere Aufmerksamkeit stärker. Was uns stärker anzieht, wird im Gegenzug vom Algorithmus sichtbarer gemacht.
Hinzu kommt: Der Ozean an Content auf Social Media ist unendlich. Um in diesem Kampf um Aufmerksamkeit die ersehnte Sichtbarkeit zu erhalten, muss man sich von der Masse abheben. Man muss maximal dumm sein. Das ist die Spirale der Dummheit, in der wir heute untergehen.
Dummheit zieht auf Social Media besser, wird darum sichtbarer gemacht und begünstigt damit noch mehr Dummheit. Ein Wettrennen in den Abgrund der Idiokratie.
Süchtig nach den Likes
Die Profiteure davon sind Elon Musk, Mark Zuckerberg und Co.: Ihre Social-Media-Plattformen leben finanziell von unserer Dummheit.
Wir sind süchtig nach dem schnellen Kick, nach dem noch krasseren, noch verstörenderen Post, der uns noch einen Zacken wütender macht.
Nach den «Influencern», deren «Influencen» darin besteht, ein genug dummes Publikum heranzuzüchten, welches die Schrott-Produkte, die die «Influencer» verkaufen, kauft. Und wir sind natürlich auch süchtig nach den Likes auf unsere eigenen dummen Ergüsse.
Je dümmer, desto selbstbewusster
Demokratie bedeutet, dass Menschen halbwegs rational und halbwegs wohlüberlegt Entscheidungen treffen. Das ist immer weniger der Fall. Und es wird noch viel schlimmer. Idiokratie ist nämlich ein One-Way-Ticket.
Die Kehrseite von Dummheit ist Selbstüberschätzung.
Wer sich so richtig schön in Dummheit hineinkniet, hinterfragt sich nicht mehr. Warum auch? Ich fühle ja, dass ich ganz genau weiss, was wahr ist!
Psychologisch ist das als Dunning-Kruger-Effekt bekannt: Die inkompetentesten Menschen haben das Gefühl, am kompetentesten zu sein.
Jeder Absolvent der YouTube-Universität, der dilettantisch «selber recherchiert», glaubt mit unerschütterlicher Überzeugung, mehr über Klimatologie, über Medizin, über Psychologie, über Immunologie, über Archäologie, über Statik, über Astronomie zu wissen als alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und alle wissenschaftliche Forschung der Welt zusammen.
Ist gar die Demokratie in Gefahr?
Wie gut kann Demokratie unter diesen Vorzeichen funktionieren? Ab einer bestimmten Dummheits-Sättigung gar nicht. Vielleicht, hoffentlich, schwingt das Pendel wieder in eine weniger dumme Richtung.
Vorerst aber ist das alte Motto der Aufklärung «Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen» durch ein anderes ersetzt worden: «Höre auf dein Bauchgefühl und denk nicht weiter darüber nach.»
Zur Person: Marko Kovic ist Gesellschaftskritiker. Er interessiert sich für gesellschaftlichen Wandel und die Frage, ob wir noch zu retten sind. Er lebt in Uzwil.