Meret Schneider: Empörung bei Ernährungsempfehlungen fehl am Platz!
Anstatt sich über Ernährungsempfehlungen des Bundes zu empören, sollten wir mehr Engagement vor Ort zeigen und das neu Entdeckte in unseren Alltag integrieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein konkreter Blick auf die Ernährungsempfehlungen des Bundes lohne sich.
- Sie würden für die hiesige Landwirtschaft grosses Potenzial bergen.
- Eine Kolumne von Meret Schneider, die 2024 wieder in den Nationalrat nachrückt.
Wann immer neue Ernährungsempfehlungen des Bundes publiziert werden, ist die Empörung gross: Bevormundung, Zwang, Lobbyismus. Die Schlagworte, mit denen die Wortgefechte ausgetragen werden, sind markig, haben aber materiell wenig mit den tatsächlichen Empfehlungen zu tun.
So äusserte sich Nationalrat Mike Egger (SVP) in einem Beitrag von «TeleZüri», es handle sich dabei um Bevormundung von «Linken und Grünen». Dies, weil in den neuen Empfehlungen pflanzliche Proteine wie Hülsenfrüchte einen höheren Stellenwert geniessen und etwas weniger Fleisch empfohlen wird.
Blick auf Finanzierung wäre aufschlussreicher
Tatsächlich wurden die Empfehlungen unter anderem von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung ausgearbeitet, in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV). Weder Politikerinnen und Politiker noch Umweltorganisationen hatten dabei die Hände im Spiel. Im Gegenteil.
Premium-Gönnermitglieder der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) sind unter anderem Schweizer Fleisch, Emmi, Nestlé, Migros und Coop. Zu den weiteren Gönnermitgliedern gehören die Schweizer Milchproduzenten SMP und die Switzerland Cheese Marketing AG. Wenn von Lobbyismus die Rede sein könnte, dann wäre ein Blick auf die Finanzierung der SGE vielleicht aufschlussreicher.
Lebensmittelgruppen werden nicht diskriminiert
Doch statt zu spekulieren und den Sturm im Wasserglas zu entfachen, lohnt es sich, einen Blick auf die konkreten Empfehlungen zu werfen. Diese fallen bezüglich Reduktion des Fleischkonsums sogar moderater aus als in Deutschland. Sie bergen für die hiesige Landwirtschaft grosses Potenzial – das diese auch erkennt.
So werden vom Bund keineswegs einzelne Lebensmittelgruppen diskriminiert, wie moniert wurde. Sondern es werden Lebensmittelgruppen stärker betont, die zuvor keine grössere Bedeutung erfuhren – beispielsweise Hülsenfrüchte.
Diese befinden sich nicht mehr in der dritten Stufe zusammen mit Getreideprodukten und Kartoffeln, sondern gelten wie Fleisch, Fisch oder Eier als Proteinquelle. So soll der rege Fleischkonsum der Schweizerischen Bevölkerung etwas gedrosselt werden. Auf höchstens dreimal pro Woche.
Hülsenfrüchte als Proteinquelle – eine Chance auch für die Landwirtschaft. Das ist keine Bevormundung, sondern eine Reaktion auf das Konsumverhalten der Bevölkerung, bei dem die Nachfrage nach pflanzlichen Proteinquellen steigt, wie in der «BauernZeitung» zu lesen ist.
Hülsenfrüchte bieten nämlich auch Vorteile für den Anbau, da sie weniger anfällig für Pflanzenkrankheiten sind. Das macht sie in Anbetracht der zunehmenden extremen Wetterereignisse attraktiv für Bäuerinnen und Bauern.
Des Weiteren sind sie resilient gegenüber längeren Trockenheitsperioden und daher geeignete Kulturen, um den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Zudem fixieren Hülsenfrüchte Stickstoff aus der Atmosphäre, wodurch in einer Fruchtfolge der Bedarf an mineralischen Stickstoffdüngern sinkt.
Bäuerinnen und Bauern ergreifen die Initiative
Während sich also in Politik und populistischen Kommentarspalten über vermeintlichen Zwang und Bevormundung enerviert wird, ergreifen Bäuerinnen und Bauern selber die Initiative. Sie haben das Potenzial längst erkannt: Schweizer Lupinen, Tofu aus dem Thurgau oder Hummus aus Hinteregg.
Zu entdecken und geniessen gibt es viel. Und gerade bei pflanzlichen Alternativprodukten sollten wir auf Schweizer Bäuerinnen und Bauern setzen, damit sie für ihren Innovationsgeist auch belohnt und entschädigt werden.
Eine ideale Gelegenheit dazu bot der Direktvermarktungstag am 14. September von lokal+fair. Bauern, Höfe und Gewerbe öffneten Tür und Tor. Sie luden zu Degustationen ein und präsentierten ihre Produkte.
Nach der Eröffnung in Stäfa durch Stefan Flückiger (Präsident Faire Märkte Schweiz), aber auch Nationalrat Martin Haab und Lokal+fair-Pionier Martin Jucker, zeigte sich ganz konkret, wie lokale Bauern vor Ort unterstützt werden können und welche Leistungen sie erbringen.
Reich beschenkt von der Ernte
Ob Getreide mahlen in Stäfa, preisgekrönte Würste degustieren in Uster oder – und damit sind wir zurück bei den pflanzlichen Alternativen – Hummus aus Egger Kichererbsen und Schweizer Tofuspezialitäten: Der Direktvermarktungstag brachte Bevölkerung und Bauern zusammen, bei Hummusbruschetta und Tofuspiess.
Es fühlte sich niemand bevormundet, sondern schlicht reicht beschenkt von der Ernte der lokalen Bäuerinnen und Bauern.
Nun müssen wir nur eines tun: Weniger Empörung online, mehr Engagement vor Ort und das neu Entdeckte in den Alltag einbauen. Hülsenfrüchte aus der Umgebung genauso wie ab und zu eine lokale Wurst vom Weidesäuli. Ganz, wie es die Ernährungsempfehlungen vorschlagen.
Und wer mehr lokale Produzierende kennenlernen möchte, findet Inspiration und benachbarte Höfe direkt auf der Website von lokal+fair (lokalundfair.ch).
Zur Person: Meret Schneider (31) war bis vor Kurzem Mitglied des Schweizer Nationalrats (2019 bis 2023). Nach dem Rücktritt von Bastien Girod rückt sie 2024 wieder in den Nationalrat nach. Sie arbeitet als Projektleiterin beim Kampagnenforum. Weiter ist sie Vorstandsmitglied der Grünen Partei Uster ZH.