Opfer von sexueller Gewalt: «Das erste Mal war ich 14 Jahre alt ...»
Sexuelle Gewalt kann auch noch Jahre danach für psychische und physische Probleme sorgen. Eine Betroffene erzählt, wie die Tat ihr Leben noch heute beeinflusst.
Das Wichtigste in Kürze
- Oftmals sorgt sexuelle Gewalt dafür, dass noch Jahre danach Spuren zurückbleiben.
- Eine Betroffene erzählt, welche Folgen die Vergewaltigung für sie hatte.
- Nicht nur psychisch, sondern auch physisch leidet sie immer noch unter der Tat.
Leider bin auch ich mit dem Thema sexuelle Gewalt in Verbindung gekommen. Das erste Mal war ich 14 Jahre alt. Obwohl ich Kampfsport seit dem 8. Lebensjahr regelmässig trainierte, war ich machtlos, reglos. Mein Überlebensmodus hatte auf «Freezing» umgeschaltet. Das ist die Erklärung, weshalb ich mich nicht wehren konnte.
Nach dem Übergriff gab ich mir selbst die Schuld, Schamgefühle kamen hoch und ich verkroch mich. Ich war mit der gesamten Situation überfordert.
«Je mehr Zeit verging, desto schwieriger wurde eine Anzeige»
Ich versuchte es schönzureden, bis es irgendwann nicht mehr ging und suchte mir professionelle Hilfe. Lange konnte ich mit meinem Umfeld nicht darüber sprechen, denn ich fand nicht die korrekten Worte, konnte meine Gefühle nicht benennen.
Während der Therapiesitzung waren bereits Monate vergangen seit dem traumatisierenden Erlebnis. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger wurde es, eine Anzeige zu erstatten. Das Einsehen, dass man keine Spuren mehr hatte, und dass es «nur» meine Aussage sein wird, bedrückte mich sehr.
Später erzählte ich meinen Eltern von dem Vorfall. Ich war kalt, distanziert und emotionslos. Ich konnte mich weder damit abfinden noch akzeptieren. Durch Abwägung und dem Beizug meiner Eltern, die mich unterstützt hätten, musste mir klar sein, dass die Chancen klein waren, dass es zu einer Verurteilung kommt.
Wut wegen fehlender Gerechtigkeit
Die Realisation keine Gerechtigkeit zu kriegen, löste in mir viel Hass und Wut aus. Gegen mich selbst, wie aber auch gegenüber dem Täter. Zu wissen, dass sein Fehlverhalten keine Konsequenzen haben wird, dass für ihn das Leben ganz normal weiter ging.
Für mich fingen die Folgen von der Tat erst an. Eine Spirale von Selbstzerstörung, Hass, Aggression und Traurigkeit. Ich wechselte den Psychiater, der mich unterstützte, meine Gefühle und Gedanken zu sortieren. Zu akzeptieren, dass dieser Schicksalsschlag nicht nur psychische, sondern auch physische Probleme hervorbrachte ,hatte ich nicht erwartet.
Auf der psychischen Ebene lernte ich, zu verstehen wie es auch mein Denken und Handeln beeinflusst hat. Mein Selbstbild war anders als die Realität; Selbstverachtung, Ekel, Minderwertigkeitsgefühle, Angstzustände gehörten dazu. In den Therapien lernte ich aus dem Erlebten positive Schlüsse zu ziehen (was am Anfang sehr schwer war).
Schlaf- und Essstörungen als physische Folgen
Ich fing an mit einer klassischen Therapie, danach versuchte ich eine Variation von alternativen Therapien. Durch die verschiedenen Ansätze lernte ich mich besser kennen und verstehen. Obwohl dies schon über 10 Jahre her ist, sind die psychischen Folgen noch da.
Zu den physischen Nachwirkungen gehörten in meinem Fall Schlafstörungen, die sich über Jahre hinzogen. Daneben entwickelte ich eine Essstörung.
Annäherungen von Männern, wie beispielsweise eine Umarmung, waren unbedenklich. Was ich jedoch nicht erwartet habe, waren all die Blockaden, welche die Erfahrung für mein Sexleben mit sich zog. Eine intime Beziehung war lange nur unter Beruhigungsmedikamenten möglich.
Flashbacks und Zusammenbrüche in Beziehungen
Später hatte ich das Glück, einen geduldigen und vor allem verständnisvollen Partner kennenzulernen. Er versuchte mir zu zeigen, dass die Zweisamkeit etwas Schönes ist, dies war für ihn genauso anstrengend wie für mich.
Eine «normale» intime Beziehung war geprägt von wiederkehrendem Flashback und Nervenzusammenbrüchen, um einige der Probleme zu erläutern.
Der Akt der Vergewaltigung ist nur auf eine Zeit begrenzt und auch irgendwann vorbei. Die Nachwirkungen jedoch werden jede einzelne Betroffene und jeden einzelnen Betroffenen auf irgendeine Weise lebenslänglich begleiten.