Thierry Carrel: Fünf Lösungen, damit Schweizer Ärzte nicht ausgehen

Thierry Carrel
Thierry Carrel

Luzern,

Herzchirurg Thierry Carrel erklärt in der zweiten Ausgabe seiner Kolumne, was die Schweiz gegen den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen unternehmen könnte.

Carrel Kolumne Ärztemangel Gesundheitswesen
Thierry Carrel ist Herzchirurg, FDP-Nationalratskandidat und Nau.ch-Kolumnist – heute thematisiert der Mediziner den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. - Nau.ch / Simone Imhof

Das Wichtigste in Kürze

  • Thierry Carrel ist Herzchirurg, FDP-Nationalratskandidat und neuer Nau.ch-Kolumnist.
  • Der Fachkräftemangel im ärztlichen und im pflegerischen Bereich sei selbstverschuldet.
  • Der Mediziner schlägt fünf praktikable Lösungen vor, um dem Problem endlich zu begegnen.

Kürzlich rief mich ein Bekannter an, um sich zu erkundigen, wie er möglichst schnell einen Termin bei einem Spezialarzt für Diabetes (Zuckerkrankheit) erhalten könnte.

Ich rief etwa zehn mir bekannte Kollegen an. Die Antworten fielen enttäuschend aus: Einzelne Ärzte konnten keine neuen Patienten annehmen, bei anderen betrug die Wartezeit bis zu vier Monate.

Zudem bat mich der gleiche Patient um eine Anmeldung für eine spezielle Herzuntersuchung. Hier wurde ich positiv überrascht: Gleich vier Kollegen aus meiner langjährigen Partnerdisziplin, der Kardiologie, schlugen einen Termin innert 48 Stunden vor.

Meine – vielleicht oberflächliche Schlussfolgerung: Während einzelne Fachdisziplinen einen grossen Mangel an Fachkräften aufweisen, scheinen andere eher überdotiert zu sein.

Fachkräftemangel Carrel Nau.ch-Kolumne
Immer mehr junge Mediziner kehren dem Beruf den Rücken – das sei grösstenteils selbstverschuldet, erklärt Thierry Carrel in seiner Nau.ch-Kolumne. (Symbolbild) - keystone

Täglich erreichen uns beunruhigende Meldungen über Hausärzte, die keinen Nachfolger finden, und über junge Mediziner, die sich ernsthaft überlegen, den Beruf zu verlassen.

Wo sind also die Probleme?

1. Der Bedarf an frischdiplomierten Ärzten wurde in der Schweiz in den letzten 25 Jahren nie ernsthaft erhoben.

2. Die Zahl der Studierenden wurde durch die Anzahl Hörsaalplätze bestimmt und nicht nach dem zukünftigen Bedarf der Bevölkerung.

3. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Schweizerische Ärztegesellschaft (FMH) und die Spitäler haben meines Erachtens noch nicht abschliessend aufgezeigt, wie sich der Frauenanteil, der Wunsch nach veränderten Anstellungsbedingungen (Teilzeit et cetera), das Einhalten vernünftiger Arbeitszeiten und die ausufernde Bürokratie auf die Anzahl benötigter Fachkräfte auswirken.

Carrel Nau.ch-Kolumne Fachkräftemangel
Bestimmt die Zahl der Studierenden im Gesundheitswesen: Die Kapazität der Hörsääle – anstelle des zukünftigen Bedarfs der Schweizer Bevölkerung. (Symbolbild) - keystone

Was will ich damit sagen? Der Fachkräftemangel im ärztlichen, aber auch im pflegerischen Bereich ist weitgehend selbstverschuldet und wurde bis anhin nur durch den Ausgriff auf ausgebildete Fachkräfte im Ausland gelöst.

Was sind mögliche Lösungen?

Ich erachte es als dringend, dass alle «Key-Players» die kommenden Herausforderungen anpacken und gemeinsam am runden Tisch praktikable Lösungen entwerfen. Unter anderem:

Thierry Carrel Nau.ch-Kolumne
Der Mediziner ist überzeugt: «Es gibt kaum andere Berufe, die mit so viel Dankbarkeit belohnt werden und eine so tiefe innere Befriedigung auslösen.» (Archivbild) - keystone

1. Das BAG und die Universitäten müssen Lösungen vorstellen, die zeigen, wie sie gedenken, den angstauslösenden Prognosen (Lücken von 4500 Ärzten und 40'000 Pflegefachkräften bis 2030) entgegenzuwirken. Die Eignungsprüfung muss in ihrer heutigen Form dringend überprüft werden.

2. Die FMH, die kantonalen Organisationen und die Fachgesellschaften müssen die Art der Weiterbildung der frischdiplomierten Ärztinnen und Ärzte besser koordinieren. Ich verwende hier bewusst das Wort «koordinieren» und nicht «steuern», da darunter häufig Verstaatlichung oder staatliche Lenkung verstanden wird. Das heisst, sie sollen definieren, wie viele Spezialisten und wie viele Generalisten in welcher Region benötigt werden. Die Schweizer Bevölkerung braucht meines Erachtens 60 Prozent Generalisten und 40 Prozent Spezialisten, nicht umgekehrt, wie es jetzt der Fall ist.

3. Studierende müssen für den Hausarztberuf motiviert werden; dabei soll ihre Arbeit zukünftig vermehrt beim Patienten stattfinden und nicht durch das Führen unsinniger Statistiken zum Nachweis der eigenen Tätigkeiten belastet werden. Dazu benötigt es mehr Vertrauen zwischen den zahlenden Krankenkassen und der leistungserbringenden Ärzteschaft.

Wie gefällt Ihnen die neue Kolumne von Thierry Carrel?

4. Spitalleitungen sollten flächendeckend attraktive Arbeitsbedingungen anbieten (unter anderem flexible Arbeitszeiten, wo immer möglich, Jobsharing und durchgehende KITA-Betreuungsmöglichkeiten). Zudem müssen sie anerkennen, dass Pflege- und Arztberufe mit einer besonders hohen physischen und psychischen Belastung verbunden sein können. Wer empfindet es heute nicht als übermässig belastend, nachts und an Wochenenden zu arbeiten, Mitmenschen mehrmals täglich zu waschen, umzubetten oder ihnen beim Aufstehen zu helfen, aber auch Sterbende zu begleiten? Noch lässt sich solches nicht vom Home-Office aus erledigen ...

5. Nicht zuletzt müssen die Spitäler – wie übrigens auch die Alters- und Pflegeheime – vermehrt über die Medien die erfüllenden Seiten des zwar anspruchsvollen, aber wunderschönen Berufs «Mediziner» oder «Pflegefachperson» betonen. Es gibt kaum andere Berufe, die mit so viel Dankbarkeit belohnt werden und eine so tiefe innere Befriedigung auslösen.

Zur Person: Thierry Carrel ist Herzchirurg und FDP-Nationalratskandidat im Kanton Luzern. Carrel ist zudem in Vitznau LU Gemeinderat.

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