Trinkwasser: Clever schützen oder teuer reparieren?
Sauberes (Trink-)Wasser ist auch im Wasserschloss Schweiz nicht selbstverständlich. Ein Gastbeitrag von «Mister Umwelt» Martin Würsten.
Das Wichtigste in Kürze
- Martin Würsten ist ehemaliger Chef des Amts für Umwelt Kt. Solothurn.
- Er wird auch «Mister Umwelt» genannt.
- Würsten schreibt, wie es um die saubere Trinkwasserversorgung in der Schweiz steht.
Der Handlungsbedarf im Gewässerschutz ist gross. Sauberes (Trink-)Wasser ist im Wasserschloss Schweiz keine Selbstverständlichkeit.
In den letzten 50 Jahren wurde mit Gewässerschutzmassnahmen zwar viel erreicht, doch zeigen sich neben den nach wie vor ungelösten Nitratproblemen im Grundwasser mit der Belastung durch Stoffe in Kleinstkonzentrationen neue, langfristige Probleme.
Etwa 40 Prozent dieser Mikroverunreinigungen in den Gewässern stammen aus den Abwasserreinigungsanlagen, 20 Prozent aus der Industrie und dem Gewerbe und 40 Prozent aus der Landwirtschaft. Gerade Letztere sind entscheidend für das Grundwasser, der natürlichen Trinkwasserreserve der Schweiz.
1 Mio. beziehen Trinkwasser mit überstiegenen Pestizid-Grenzwerten
So liegen die intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Kulturflächen genau da, wo sich die für die Trinkwasserversorgungen wichtigen Grundwasserströme befinden. Deshalb müssen heute rund 1 Mio. Bürgerinnen und Bürger ein Trinkwasser beziehen, das die geltenden Grenzwerte der Pestizidrückstände nicht einhalten kann. Ein Systemfehler!
Aber auch viele kleine Oberflächengewässer leiden unter zu hohen Pestizideinträgen aus der Landwirtschaft. Die ökotoxikologischen Grenzwerte werden zum Teil um ein Vielfaches überschritten, zahlreiche Wasserlebewesen und Ökosysteme sind bedroht.
Zudem zeigen neuste Echtzeit-Messtechniken der Eawag, dass viele Pestizide die Höchstkonzentrationen kurzfristig um das 170-fache (!) übertreffen im Vergleich zu den Tagesmischproben.
Für gewisse Pestizide haben bereits Spitzenkonzentrationen von weniger als einer Stunde schädliche Auswirkungen auf aquatische Organismen. Gewisse Pestizide sind dermassen giftig, dass ein Fingerhut davon ausreicht, in einem kleinen Gewässer über viele Kilometer Bachflohkrebse und andere Wasserwirbellose zu töten – eine wichtige Nahrungsgrundlage unserer Fische.
Mit ARA-Ausbau auf 50 Prozent reduziert
Haushalte, Industrie und Gewerbe finanzieren dagegen seit Jahrzehnten eine gut funktionierende Siedlungsentwässerung und Abwasserreinigung – nach dem Verursacherprinzip. Mit der laufenden Umsetzung des ARA-Ausbaus wird das Qualitätsproblem bezüglich Mikroverunreinigungen in den grösseren und mittleren Gewässern grossmehrheitlich gelöst werden. Die Fracht wird um über 50 Prozent reduziert werden.
Der Rest fliesst in Gewässer, wo die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden. Die Mikroverunreinigungen der Landwirtschaft belasten hingegen direkt die Trinkwasserressourcen und die sensiblen Gewässer und führen zu grossflächigen Überschreitungen der Grenzwerte.
Die Gewässerbelastung durch Mikroverunreinigungen erfordern griffige Massnahmen an der Quelle, also auch bei der Landwirtschaft, das Reinigen in der ARA reicht nicht. Es kann nicht sein, dass bei der Landwirtschaft andere Massstäbe gelten.
Überdüngung der Wasserressourcen reduzieren
Aufgrund der Schaumteppiche und der sterbenden Seen wurden in der Schweiz in den 1960er- und 1970er-Jahren flächendeckend ARA gebaut, welche die Kohlenstoffverbindungen eliminierten. In den 1980er-Jahren wurden wegen der nach wie vor zu hohen Phosphor- und Ammoniumkonzentrationen viele ARA weiter ausgebaut.
In den 1990er- und 2000er-Jahren wurde als weitere Reinigungsstufe in vielen ARA die Denitrifikation erstellt. Stickstoff wird heute insgesamt zu rund 50 Prozent aus dem Abwasser entfernt, Phosphor etwa zu 90 Prozent. Die ARA halten heute nationale und internationale Zielwerte der Gewässerqualität ein. Eine zusätzliche verstärkte Reinigungsleistung wird im Parlament zurzeit diskutiert und ist auf guten Wegen.
Die Landwirtschaft hingegen ist sowohl von den Etappenzielen als auch vom langfristigen Ziel der 50-Prozent-Reduktion der Stickstoffeinträge weit entfernt.
Stark betroffen ist das besonders schützenswerte Grundwasser; die Landwirtschaft gibt rund 30'000 t Stickstoff pro Jahr direkt ins Grundwasser ab, wo er sich als Nitrat anreichert.
Nitratproblem seit vielen Jahren ungelöst
Die Nitrat-Anforderungen der Gewässerschutzverordnung sind im Ackerland bei mehr als 40 Prozent aller Grundwassermessstellen seit Jahren überschritten. Das Nitratproblem ist für viele Wasserversorger seit Jahren ungelöst, der Handlungsbedarf entsprechend gross.
In Anbetracht dieser durch die Landwirtschaft verursachten Belastungssituation der Gewässer erstaunt es nicht, dass sie bis heute kein einziges ihrer 13 Umweltziele vollständig erreicht.
Der Grossteil der ARA leiten die verbleibenden Stickstofffrachten in grössere Fliessgewässer in Form von Nitrat ein. Diese Einträge sind aus Sicht Gewässerschutz weitgehend unproblematisch, denn Nitrat reichert sich in den Oberflächengewässern im Unterschied zum Grundwasser nicht an.
Die Nitratkonzentrationen liegen denn auch weit unter den für das sensible Grundwasser bedenklichen Werten. Infiltrierendes Oberflächengewässer führt somit sogar zu tieferen Nitratwerten im Grundwasser.
Es braucht landwirtschaftliche Massnahmen
Die gesetzlichen Anforderungen in der Abwasserreinigung werden durch die ergriffenen Investitionen gut eingehalten. Trotzdem ist die Abwasserbranche bereit, die ARA weiter zu optimieren.
Dass sich die Schweiz eine professionelle Abwasserreinigung leistet, ist wichtig und richtig für saubere und lebendige Gewässer. Für sich alleine reicht dies aber nicht. Insbesondere die Trinkwasservorkommen werden direkt durch Stoffeinträge der Landwirtschaft belastet, also lange bevor die Reinigung durch die ARA überhaupt wirken kann.
Deshalb braucht es Massnahmen an der Quelle, bei der Landwirtschaft. Für unser Land, unsere Kinder, unsere Zukunft.
***
Zum Autor: Martin Würsten ist der ehemalige Chef des Amts für Umwelt des Kantons Solothurn. Er engagiert sich in der Interessengemeinschaft 4aqua, die schnelle Massnahmen gegen die Gewässerverschmutzung fordert.