Warum reden wir erst jetzt über die Jungen?
Normalerweise erzählt unser Halleluja-Kolumnist freitags gerne Geschichten aus der Bibel. Heute geht's für einmal um ganz säkulare Themen.
Das Wichtigste in Kürze
- Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
- Sind Sie seiner Meinung? Eher nicht? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar.
- Den Autor erreichen Sie per E-Mail unter [email protected].
Plötzlich werden sie gehört, die Jugendlichen. Soviel vorweg: Ich werde am Montag 37 Jahre alt, habe zwei Söhne, ergraute Schläfen, bin von TikTok überfordert und reklamiere in keiner Weise für mich, die Jungen zu repräsentieren.
Was mir auffällt: Gab es in den letzten Monaten Unverzagte, die auf die Perspektivlosigkeit und das Leid der Jungen hingewiesen hatten, wurden sie so oft als asoziale Covidioten diffamiert, denen die Alten und Vorerkrankten egal seien.
Nun, das Blatt hat sich gewendet und Menschen begreifen, dass Solidarität ein schwieriges Wort ist, weil solidarisch mit den einen zu sein, sehr oft die anderen ausschliesst.
Ich darf niemals meine eigenen Solidaritätsbekundungen als einzig richtig anschauen. Die Toleranz in Solidaritätsfragen ist superwichtig.
Nicht jeder ist gleich ein Nazi!
Und was jetzt? Toll, dass SRF heute Abend mit Jungen in die Arena steigt. Aber meiner Meinung nach ist das vor allem Symptombekämpfung: Es knallt in St. Gallen, also dürfen sie reden.
Warum hört eine solidarische Gesellschaft nicht schon vorher zu? Warum hallt es durch Twitter sofort «Du Nazi!», wenn jemand unkonventionelle Meinungen vertritt?
Ueli Maurer trifft in meinen Augen den Nagel auf den Kopf: «Ich komme mir manchmal vor, wie wenn ich Mitglied einer Sekte wäre. Kritiker werden sofort zu Leugnern und Ungläubigen.»
Dort müssen wir ansetzen. Die Menschen und ihre Meinungen ernst nehmen, ohne sie in gut gemeintem Eifer an die Wand zu stellen.
Es gibt keine «Problemchen»
Ich könnte mir vorstellen, dass genau das die Jungen brauchen: Dass man sie und ihre «Problemchen», die eben keine «Problemchen» sind, respektiert.
Wichtig! Kein Mensch hat «Problemchen». Ist für mich ein Problem eines anderen nur ein «Problemchen», nehme ich mich viel zu wichtig und werde selbst zum asozialen Problem dieser Gesellschaft.
Ernst nehmen hat mit Respekt zu tun. Ich muss nicht jede Meinung teilen, ich darf jede Meinung kritisieren. Aber ich muss andere Meinungen aushalten können oder meine Klappe halten.
Das setzt voraus, dass ich meine eigene Meinung nicht als derart wichtig und wahr anschaue, dass sie unfehlbar wäre. Kann ich das?
Es braucht Schritte von allen Seiten
Was gibt uns in dieser dunklen Phase eine Perspektive? Mir hilft natürlich immer mein Glaube an Jesus Christus. Aber diesen Bogen will ich für einmal nicht spannen, wir können gerne nächsten Freitag wieder über Gott staunen.
Heute hab ich auf dem Herzen, Ihnen mitzuteilen, dass wir miteinander reden sollten, auch wenn wir Dinge unterschiedlich sehen. Hat mit Nächstenliebe zu tun, wovon die Bibel ja strotzt.
«Wie romantisch, der Christ will die Welt verbessern.» Ja, ich will, dass ein Impfgegner nicht sogleich ein Nazi ist. Dass niemand, der Massnahmen gutheisst oder kritisiert, von der Gegenseite als Idiot diffamiert wird.
Es braucht Schritte von allen. Von denjenigen, die mehrheitsfähige Ansichten vertreten UND von denen, die weniger Gleichgesinnte finden. Was die «Wie die Mehrheit»-Denkenden tun können, haben wir besprochen: Respekt üben.
Nie mit Hass und Beschimpfung reagieren
Noch einige Gedanken für die Andersdenkenden: Bitte nicht nur mit Gleichgesinnten reden. Bitte nicht radikalisieren! Auf Unverständnis und Abweisung nicht mit Hass reagieren. Andere Meinungen zulassen. Auch hier gilt: Respekt üben.
Ich durfte mal in einem Online-Talk mit Schriftsteller Giuseppe Gracia diskutieren. Da erzählte er von Thomas von Aquin und der Scholastik. Katholische Theologen im Mittelalter pflegten in hitzigen Diskussionen folgende Umgangsform: Ich höre mir die Argumente meines Gegenübers an und fasse sie anschliessend in meinen Worten zusammen. Erst dann rede ich weiter.
Dadurch beweise ich, dass ich mein Gegenüber respektiere, nicht schon das nächste Totschlagargument plane – sondern ZUHÖRE UND ZU VERSTEHEN VERSUCHE, was der andere meint.
So bringen wir hoffentlich Solidarität und Menschlichkeit zurück in unsere Gesellschaft.
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Zum Autor:
Sam Urech wird 37 Jahre alt, ist verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam hat viele Jahre beim «Blick» als Sportjournalist gearbeitet und ist heute Inhaber der Kommunikationsagentur «ratsam».
Er liebt seine Familie, seine Kirche, Guinness, Fussball, Darts, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Wenn Sie hier klicken, finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.
Fragen oder Anregungen? Sie finden Sam auf Facebook und Instagram (samurech.ch) sowie auf Twitter (samurech).
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