Sexuelle Belästigung: Männer werden als Opfer tabuisiert
Das Wichtigste in Kürze
- Rund 80 Prozent der weiblichen Lernenden machten Erfahrungen mit sexueller Belästigung.
- Auch knapp die Hälfte aller Männer wurden laut Umfrage schon Opfer sexueller Belästigung.
- Männer als Opfer sind nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, meint eine Expertin.
Laut einer neuen Umfrage der Unia wurden bereits 80 Prozent aller weiblichen Lernenden schon einmal Opfer sexueller Belästigung. Während dieses Resultat laut Unia «alarmierend» ist, so offenbart die Umfrage damit keinen gänzlich neuartigen Befund: Frauen sind überproportional stark von sexuellen Übergriffen betroffen. Zu diesem Schluss kam auch schon eine repräsentative Umfrage des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung aus dem Jahr 2008.
Was die Umfrage aber auch zutage förderte und in der Öffentlichkeit vielleicht nicht immer allzu breit diskutiert wird: Auch Männer fallen regelmässig sexuellen Übergriffen zum Opfer. Knapp die Hälfte aller befragten männlichen Lehrlinge berichtete, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein.
Keine Überraschung für Gleichstellungsexpertin
Für Anja Derungs, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich, ist die Stossrichtung der Resultate wenig überraschend. «Das widerspiegelt sich auch in unseren Beratungen. Wir haben oft Lernende, die ganz neu sind, nicht wissen, was sie sagen können, sich nicht auskennen.» Insofern sexuelle Belästigung immer mit einem Machtmissbrauch einhergehe, liesse sich diese natürlich bei schwächer Positionierten besser ausleben.
Aber auch die Tatsache, dass männliche Lernende Opfer von Übergriffen werden, ist laut Derungs erwartbar. Zum einen seien schon frühere Umfragen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Im Weiteren sei sexuelle Belästigung immer schambehaftet und werde tabuisiert.
Doch Männer im Speziellen als Opfer sexueller Übergriffe zu thematisieren, ist laut Derungs ein noch grösseres Tabu: «Ich weiss von Umfragen, wo man explizit Männer gesucht hat, um sie zu befragen. Das war enorm schwierig, weil es so tabuisiert ist. Männer zeigen dabei Verletzlichkeit, was nicht einer gängigen Männlichkeitsnorm entspricht. Das schreckt viele ab.»
Männlichkeitsbilder müssen sich wandeln
Die vorherrschenden Männlichkeitsbilder sind für Derungs denn auch die wichtigste zu verändernde Grösse, wenn man über künftige Verbesserungen sprechen will. «Es ist ganz wichtig, nicht die Jugendlichen zu ändern, die nicht dem typischen Jungen oder typischen Mädchen entsprechen. Es ginge darum, besagte Vorstellungen zu erweitern.»
Betroffene Lernende sind auf keinen Fall auf sich allein gestellt. Für die Gleichstellungsexpertin Anja Derungs ist ganz klar, dass es enorm wichtig ist, sich frühzeitig bei kompetenten Stellen zu melden. Eine erste Anlaufstelle finden Betroffene auf der Webseite belästigt.ch