Digitalisierung löst Jobängste in der Schweiz aus
Nur noch 59 Prozent der Beschäftigten bei Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern glauben, dass die Digitalisierung für neue Jobs sorgen wird.
Das Wichtigste in Kürze
- Fast drei von vier Eidgenossen sehen in der Digitalisierung eine Chance für die Schweiz.
- Aber im Finanzsektor werfen die Jobängste erste Schatten auf die Digitalisierung.
Die Internetbegeisterung der Schweizer ist ungebrochen: Fast drei von vier Eidgenossen sehen in der Digitalisierung eine Chance für das Land, der E-Commerce erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Doch die Neuauflage der Oliver Wyman-Studie «Switzerland's Digital DNA» zeigt auch ein weiter hohes Bewusstsein der Bevölkerung für Cyber-Risiken. Und insbesondere in der Finanzindustrie wirft die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz erste Schatten auf die Digitalisierungsstory der Schweiz.
Ist die Digitalisierung ein Jobmotor oder ein Jobkiller? Diese Debatte wird in allen Ländern und Branchen höchst kontrovers geführt. In der Schweiz wächst im wichtigen Finanzsektor die Skepsis: Nur noch 59 Prozent der Beschäftigten bei Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienstleistern glauben, dass die Digitalisierung für neue Jobs sorgen wird. Im Vorjahr waren noch über 80 Prozent hoffnungsvoll gestimmt. Dieser Stimmungseinbruch in der Finanz- und Versicherungsbranche ist eine der frappierenden Veränderungen, die die Studie «Switzerland's Digital DNA» feststellt. Für die detaillierte Untersuchung zur Internetaffinität der Bevölkerung hat die Strategieberatung Oliver Wyman erneut 2000 Schweizer Bürger im Juli 2018 befragt.
«In keiner anderen Branche hat sich der Blick der Betroffenen auf die Veränderungen durch das Internet so stark verdüstert wie in der Finanzindustrie», sagt Nordal Cavadini, Partner bei Oliver Wyman in Zürich. «Der Stellenabbau in vielen Banken und der spürbare Wettbewerbsdruck durch Fintechs lässt hier offenbar die Sorgen wachsen.» Derweil bewahren sich Beschäftigte abseits der Finanzindustrie überwiegend ihre Zuversicht: In den meisten Industriesektoren verbesserte sich sogar die Erwartungshaltung mit Blick auf neue Arbeitsplätze. So stiegen die Spitzenwerte in der ITK-Branche auf 82 Prozent, im produzierenden Gewerbe auf 73 Prozent und in der öffentlichen Verwaltung auf 70 Prozent. Der Schlusswert wurde im Gross- und Detailhandel mit 53 Prozent verzeichnet. Über alle Branchen gerechnet halten es 60 Prozent der Schweizer in diesem Jahr für wahrscheinlicher, dass neue Jobs durch das Internet und andere Kommunikationstechnologien entstehen.
Industriebeschäftigte mit grossem Selbstvertrauen
Auch hinsichtlich ihrer persönlichen Qualifikation für die digitale Transformation des Arbeitsmarkts zeigen die Schweizer eine breite Brust. 79 Prozent der Befragten fühlen sich nach eigenem Bekunden ausreichend ausgebildet, um ihren Job in fünf Jahren noch ausführen zu können. Diese Frage bejahen immerhin 76 Prozent der Banker, während das produzierende Gewerbe mit 88 Prozent die Spitze bildet und der Logistiksektor mit nur 68 Prozent als Schlusslicht rangiert. In Logistikunternehmen fühlen sich 29 Prozent zurückgelassen und vom Tempo des technischen Wandels überfordert - der Wert liegt um zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt.
«Generell bleibt die Schweiz auch 2018 ein idealer Standort für Digitalunternehmen, denn die Bevölkerung stellt sich den Chancen sehr positiv, aber auch aufgeklärt gegenüber», sagt Joris D'Incà, Schweiz-Chef von Oliver Wyman. 73 Prozent sehen eine «Chance für die Schweiz», 67 Prozent einen «positiven Einfluss auf das eigene Leben». Im Vorjahr lagen diese Werte auf vergleichbaren hohen Niveau. «Das zeigt, dass die Schweizer parat sind für zukünftige Umstellungen, etwa dass klassische Jobs durch flexiblere Arbeitsmodelle ersetzt werden.»
Starkes Wachstum im E-Commerce
Gefragt nach dem überragenden Vorteil der Digitalisierung, setzen die Schweizer wie schon im Vorjahr die Konsumentenbrille auf: Sorgt das Internet für günstigere Preise beim Einkauf? 79 Prozent stimmen hier zu. Verstärkt nutzen die Schweizer den Kanal E-Commerce - und immer öfter landen sie bei den Platzhirschen: Zalando (von 32 auf 42 Prozent) und Amazon (von 29 auf 35) konnten im Jahresvergleich deutlich mehr regelmässige Nutzer gewinnen, so wie auch Digitec (von 19 auf 26 Prozent). Der chinesische Primus Alibaba kommt bereits auf 9 Prozent regelmässige Nutzer. «Wir gehen fest davon aus, dass die internationalen Plattformen weiter Fuss fassen werden», sagt Cavadini.
Damit zeigt sich im Online-Shopping ein Paradoxon: Immer öfter steuern die Schweizer die internationalen Einkaufsriesen an, obwohl ihr Vertrauen in genau diese Konzerne sinkt. «Der stark ausgeprägte Wunsch nach günstigen Preisen siegt bei den Konsumenten ganz offensichtlich über die Sorge um Datenweitergabe», sagt Cavadini. Zwar mögen es 67 Prozent der Befragten nicht, Daten an Dritte weiterzugeben. Doch die Abwehrhaltung bröckelt: Im Vorjahr war die Abneigung mit 73 Prozent noch stärker ausgeprägt. Laut Cavadini können Schweizer Plattformen mit der Konkurrenz mithalten, wenn sie die Nähe zum Konsumenten stärker nutzen - etwa durch Dienstleistungen, die mit dem Standort verknüpft sind. «Das kann der Online-Supermarkt sein, der sich mit dem lokalen Metzgerbetrieb zusammenschliesst.», sagt Cavadini.
Misstrauen gegenüber Tech-Konzernen
Man zweifelt, aber man klickt: Das Vertrauen in Technologiefirmen wie Google liegt mit 25 Prozent am untersten Ende der abgefragten Sektoren. Kaum besser ist der Leumund der Online-Händler wie Amazon, denen nur 26 Prozent ihr Vertrauen schenken, wenn es um personalisierte Angebote geht. 2017 erlangten Tech- und Onlineunternehmen ähnlich niedrige Vertrauenswerte. Spitzenwerte geniessen weiter Spitäler, Ärzte und Krankenkassen mit 61 Prozent, Banken mit 59 Prozent und Universitäten mit 58 Prozent. 60 Prozent der Schweizer war der Ansicht, Unternehmen und Politik müssen mehr für den Datenschutz tun. Hier liegt eine Chance. «Unternehmen sollten versuchen, durch Kooperation zu punkten. Gemeinsam können Sie die Vorbehalte der Konsumenten weiter abbauen», sagt D'Incà.