Basel: Katja Christ – Alles ist eine Bühne
Sie ist die Chefin der Unterlisten. Für Wahlauftritte fährt sie sogar nach Zunzgen. Die Basler GLP-Nationalrätin ist den anderen einen Schritt voraus.
Das Wichtigste in Kürze
- Dank einer Unterlistenverbindung schaffte es Katja Christ 2019 in den Nationalrat.
- Dieses Jahr wird ein solches Vorgehen nicht mehr möglich sein.
- Deshalb versucht die 51-Jährige, möglichst früh schon aufzufallen und sich zu vermarkten.
Wenn die Scheinwerfer angehen, gehört die Bühne ihr. Kein Zucken mehr, kein Zögern, let me entertain you. Katja Christ lebt für den Auftritt, für den grossen Moment – als Turniertänzerin, als Anwältin und als Politikerin. Der Gang immer aufrecht und stolz.
«Ich bin eine gute Beobachterin. Ich weiss, dass mein Gesamtauftritt und die Farben meines Outfits bei einer Jury Wirkung erzielen», sagt sie.
Oder wie sie die Aufmerksamkeit der Wählerinnen und Wähler auf sich ziehen kann. Als vor den Sommerferien die nationalen Wahlen in den Köpfen der Menschen noch weit weg waren, zierte das Gesicht der Basler GLP-Nationalrätin bereits ein Tram und zwei Busse in der Stadt. Und als im Juli andere Parteien noch nicht einmal ihre Hauptlisten präsentiert hatten, kündigte Christ als Präsidentin der Basler Grünliberalen an, mit acht (!) Unterlisten antreten zu wollen.
Überraschung!
Damit hat es sich Christ mit ihren bürgerlichen Bündnispartnerinnen verscherzt, auch wenn sie die Unterlisten nun auf sechs reduziert hat. Nicht zum ersten Mal: Schon 2019 gab es eine Listenverbindung zwischen der GLP, der LDP, der FDP und der Mitte (damals CVP). Die Grünliberalen gingen aber zusätzlich eine Unterlistenverbindung mit der EVP und der BDP ein und ergatterten sich somit überraschend den Nationalratssitz.
Christ wurde gewählt – mit nur 3800 Stimmen. Zum Vergleich: Das beste persönliche Resultat erzielte der Sozialdemokrat Beat Jans mit knapp 21'900 Stimmen. Wenig später schaffte es Christ, Parteikollegin Esther Keller in die Regierung zu bringen. Sie selbst war 2019 noch an Tanja Soland gescheitert.
Für die Bürgerlichen sind Christ und ihre GLP keine angenehmen Partnerinnen. Sie sind unberechenbar und schwer einzuordnen und reihen sich nicht einfach ein. Das hat mit der vergleichsweise bescheidenen Geschichte der Partei zu tun; es fehlen die historisch gewachsenen Traditionen, die altbewährten Seilschaften, die Erinnerungen daran, wie es früher war. In Basel wurden die Grünliberalen 2008 gegründet.
Spielregeln
«Auch Neid muss man sich verdienen», sagt Christ. Und es fällt ihr auch nicht schwer zu sagen: «Die Listenverbindung mit den Bürgerlichen ist ein Zweckbündnis.» Die Parteien erhöhten so rechnerisch ihre Chancen, «bleiben aber im Wahlkampf grundsätzlich unabhängig».
Sie schaut für sich. Christ ist Wettkämpferin, sucht den Leistungsvergleich. Innerhalb der Spielregeln ist alles erlaubt.
Ab der kommenden Legislatur hat Basel–Stadt nur noch Anspruch auf vier statt fünf Nationalratssitze. Die SP könnte eines ihrer zwei Mandate verlieren, aber auch die GLP hat ihres nicht auf sicher.
Die Bürgerlichen würden es am liebsten sehen, wenn die FDP Christ verdrängen würde, wie LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein in der «bz» unmissverständlich sagte. Das Duell innerhalb der Listenverbindung heisst: Baschi Dürr gegen Katja Christ.
Klick!
Beide sind hoch strategische Köpfe, smart, leidenschaftlich, schlitzohrig. Doch auf der Bühne kommt er nicht so gut zurecht wie sie; er bleibt dort distanziert. Baschi Dürr fremdelt mit der einfachen Stimmbevölkerung und musste immer in den zweiten Wahlgang.
Christ hingegen lässt keine Publicity ungenutzt. Sie reist sogar nach Zunzgen an die Gründungsversammlung der Parteisektion Oberbaselbiet – es könnte ja jemand mit einer Kamera dabei sein. «Wieder gewählt zu werden, ist auch eine Frage des Marketings.»
Sie weiss, dass ihr Wahlresultat über die Zusammensetzung der künftigen Basler Bern-Delegation entscheidet. Und dass vieles auf der Kippe steht. Sagt aber: «Alles andere als Zuversicht ist jetzt nicht angebracht.» Sie will keine Aussagen darüber machen, was sie im Fall einer Abwahl anstellen würde: «Ich setze alles auf diese Karte.»
Den Koffer hat sie an diesem Montagmorgen Ende September dabei, in der anderen Hand die Laptop-Tasche, über den Schultern eine beige Lederhandtasche. Sie reisst ihr Gepäck energisch die Treppe zur Bar des Hotel Central hoch, ohne Rücksicht auf allfällige Schäden. Hilfe lehnt sie ab. Erst bei der Tür blickt sie erwartungsvoll hinüber: «Die kann ich jetzt aber nicht alleine öffnen.»
Den Kaffee trinkt sie schwarz. Kein Gipfeli. Bald fährt der Zug nach Bern los; die letzte Sessionswoche steht an.
In den vergangenen drei Jahren hat Christ Bundesbern aufgesaugt: «Was ich rausnehmen kann, das nehme ich mir.» Das Amt sei eine «Chance fürs Leben». Sie besucht möglichst viele Rahmenanlässe während der Sessionen, nutzt diese für Networking und Weiterbildung und vertritt bei Absenzen ihre Kolleginnen und Kollegen in den Kommissionen.
Unter der Woche bleibt sie in Bern, übernachtet in einer Jugendherberge. Eine Einladung, der berühmten Polit-WG der Jungpolitiker Mike Egger, Franziska Ryser und Andri Silberschmidt beizutreten, schlug Christ aus: «Auch wenn diese überparteiliche WG sehr gut zu mir gepasst hätte – ich hätte den Altersdurchschnitt massiv erhöht.»
Nicht nur wegen ihrer 51 Altersjahre hätte sie nicht in die Wohnung gepasst, sondern auch wegen der Lebensumstände. Sie hat ihren beiden Kindern ein Generalabonnement geschenkt, damit sie sie in Bern jederzeit besuchen können. Da will man auch mal für sich sein.
Jury
Christ ist in Bern kein Schwergewicht. Ihr grösster Erfolg ist die Zustimmung der beiden Räte zur Legalisierung der Eizellenspende. Sie konnte auch ihre Forderung nach Alternativen zu den Tierversuchen durchsetzen. Zudem befeuert sie die Diskussionen um eine zukunftsgerichtete Medienförderung und setzt sich für bessere internationale Bahnverbindungen ein.
Wenig aussichtsreich ist ihr Vorstoss, den beiden Basel je einen zweiten Ständeratssitz zuzusichern. Aber Christ hält daran fest – und sich selber damit im Gespräch: «Ich scheue keine Diskussionen, auch nicht solche, die aussichtslos erscheinen oder als populistisch gelten, denn man kann nie wissen.»
Es ist auch der kleinen Grösse der GLP-Fraktion geschuldet, dass sich die 16 Amtsträgerinnen und -träger thematisch breit aufstellen müssen und sich nicht auf ein Schwerpunktthema konzentrieren können. Aber Christ sagt auch: «Ich bin nunmal nicht eindimensional.» Sie ist auch Anwältin, Mutter, Tänzerin.
Eine Unterlistenverbindung wie vor vier Jahren ist heute nicht mehr gestattet, 3800 Stimmen werden nicht mehr reichen. Christ hat frühzeitig reagiert und sich aufgedrängt, ihre Rolle im vierköpfigen Ensemble behalten zu können. Die Jury entscheidet am 22. Oktober.
Zu den Autoren: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert. Per 1. Juli haben Alessandra Paone und Jan Amsler übernommen.