Sandro Michael, Geschäftsführer des Bündner Bauernverbandes, spricht im Nau.ch-Interview über die Wolfspräsenz im Kanton – und macht sich «sehr grosse Sorgen».
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Sandro Michael, Geschäftsführer des Bündner Bauernverbandes. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Rund 100 Wölfe bewegen sich in Graubünden – eine Herausforderung für die Landwirtschaft.
  • Sandro Michael, Geschäftsführer Bündner Bauernverband, sorgt sich um die Alpwirtschaft.
  • Ohne gezielte Wolf-Regulation würden Herdenschutzmassnahmen ihre Wirkung verlieren.
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Nau.ch: Die Wolfspräsenz betrifft drei Viertel der Bündner Landwirtschaftsbetriebe. Auf den Alpbetrieben heisst das: Nutztierangriffe und -risse. Wie verläuft der bisherige Alpsommer in Graubünden?

Sandro Michael: Alleine im Kanton Graubünden sind wir bereits bei rund 200 offiziell bestätigten Nutztierrissen, darunter befinden sich auch zwei Kälber. Durch gezielte Regulation der im vergangenen Jahr besonders negativ aufgefallenen Rudel, unter anderem des Beverin-Rudels, konnte die Anzahl Nutztierrisse im Vergleich zur letztjährigen Jahresperiode ein wenig tiefer gehalten werden.

Neben den Rissen stellt auch die mindestens so hohe Anzahl an vermissten Schafen einen grossen emotionalen und finanziellen Schaden dar. Zudem berichten Landwirte, deren Herden Kontakt mit dem Wolf hatten, vermehrt von Frühgeburten und aufgebrachten bis verhaltensgestörten Rinderherden.

Nau.ch: Momentan bewegen sich zwölf Rudel – insgesamt hundert Wölfe – im Kanton Graubünden. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ich mache mir sehr grosse Sorgen um die Zukunft der Alp- und Weidewirtschaft. Vor allem die Schafalpen sind sehr steil, unwegsam und weitläufig. Die Bewirtschaftung und somit Offenhaltung der Flächen ist nur durch die Beweidung mit Kleinvieh machbar.

Diese Weiden mit einem Zaun zu schützen, ist oft gar nicht möglich oder das Zäunen für den Hirten sehr herausfordernd und gefährlich. Nun sind wir bereits so weit, dass die ersten Schafalpen aufgrund der Wolfspräsenz nicht mehr bestossen werden. Diese Flächen werden innerhalb weniger Jahre verbuschen und somit neben ihrem Potenzial als Futtergrundlage auch an Biodiversität verlieren.

Sollen Wölfe in der Schweiz stärker reguliert werden?

Nau.ch: Seit zwei Jahren lässt die Bündner Regierung mehr Hunderassen als vom Bund anerkannt für den Herdenschutz zu. Zugleich hält Regierungsrat Marcus Caduff fest: «Der Wolf lernt, die Herdenschutzmassnahmen zu umgehen.» Was können Landwirte tun, damit das nicht mehr passiert?

Der Kanton Graubünden ist mit dem Herdenschutz definitiv an seine Grenzen angelangt. Seitens des Bildungszentrums Plantahof, welches auch die ganze Herdenschutzberatung unter sich hat, besteht das eindeutige Fazit, dass Herdenschutzmassnahmen ohne gezielte Regulation der Wölfe ihre Wirkung verlieren. Die Landwirte sind somit auf eine präventive Regulation der Wölfe angewiesen, um Nutztierrisse zumindest in geschützten Weiden zu dezimieren.

Nau.ch: Seit dem 1. Juli gilt die neue Jagdverordnung, die einen erleichterten Wolfsabschuss erlaubt. Reicht das, um die Nutztiere vor dem Wolf zu schützen? Falls nein: Was müsste Ihrer Meinung nach noch getan werden?

Die Jagdverordnung, die am 1. Juli in Kraft getreten ist, basiert noch auf dem alten Jagdgesetz und die Anpassungen gegenüber der alten Jagdverordnung sind somit minim. In der neuen Verordnung ist die Anzahl Nutztierrisse, die sich ein Wolf erlauben kann, bis das Rudel reguliert werden darf, leicht nach unten gesetzt worden.

Dies mit dem Ziel, früher regulierend einzugreifen. Da es jedoch rund einen Monat dauert, bis unser Amt für Jagd und Fischerei die Abschussbewilligung des Bundesamts für Umwelt erhält, geht das Reissen von Nutztieren in dieser Zeit ungehindert weiter, obwohl das Riss-Kontingent schon erfüllt wäre.

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Ein Hirtenhund bewacht auf der Stutzalp in Splügen GR Schafe und Ziegen. - keystone

Nau.ch: Ein Walliser Schafzüchter-Paar hört auf, nachdem der Wolf mehrere ihrer seltenen Schafe tötete. Besteht auch in Graubünden die Gefahr, dass Landwirte wegen des Wolfs das Handtuch werfen?

Im Rahmen einer kantonalen Umfrage zum Thema Burnout in der Landwirtschaft stellte sich heraus, dass bei 66 Prozent der Kleinviehhalter die Wolfsproblematik den grössten psychische Stressor in der Landwirtschaft darstellt und über 60 Prozent der Kleinviehalter mit dem Gedanken spielen, die Schaf- und Ziegenhaltung aufzugeben.

Nau.ch: Unter welchen Voraussetzungen wäre ein Zusammenleben von Mensch und Wolf möglich?

Gemäss Bündner Bauernverband ist das Zusammenleben von Mensch und Wolf unter den folgenden drei Bedingungen möglich: Im Kanton Graubünden werden maximal zwei unauffällige Rudel akzeptiert. Damit erfüllt der Kanton Graubünden die internationale Verpflichtung zur Erhaltung dieser Art. Hochgerechnet auf ganz Europa entspricht das einem Bestand von zirka 30'000 Individuen; das ist längst ausreichend.

Zweitens: Angriffe auf Haus- und Nutztiere sowie Annäherungen an Siedlungen, Einzelhöfe und Menschen werden nicht toleriert. Wo Herdenschutzmassnahmen unverzichtbar sind, werden diese aus Naturschutzgeldern bestritten. Der Aufwand der Betroffenen wird vollständig entgolten. Drittens: Die Umsetzung des Wolfsmanagements ist Sache der Kantone, so wie bei allen anderen Tierarten auch.

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