Isabelle Lüthi (SP SH): Politik machen – lieber nicht?
Nicht für alle ist es gleich einfach, ein politisches Mandat auszuüben. Manche Hürden liessen sich abbauen. Zeit, dass wir das Politisieren attraktiver machen.
Das Wichtigste in Kürze
- Für viele Menschen ist es nicht attraktiv, ein politisches Mandat auszuüben.
- Gründe dafür sind die geringe Entlöhnung oder die fehlende Stellvertretungsmöglichkeit.
- Ein Gastbeitrag der Schaffhauser SP-Kantonsrätin Isabelle Lüthi.
Wenn ich Menschen in meinem Umfeld erzähle, dass ich im Kantonsrat bin, dann ist eine ganz häufige Reaktion: «Uff, ich könnte das nie!» Oder eine Abwandlung davon wie: «Das würd ich mir nie antun wollen!»
Es ist schade, dass viele Menschen so reagieren – aber ich kann sie gut verstehen. Denn ein Teil vom Politisieren sieht tatsächlich so aus: Ältere Herren in Anzügen liefern sich langfädige verbale Duelle und hören sich nicht gerne zu. Wer neu (oder jung oder weiblich) ist, muss sich behaupten und überhaupt ist es ein ständiges Ellenböglen. Logisch, dass das manche Menschen abschreckt.
Geringe Entlöhnung als Hürde
Dazu kommt, dass unser parlamentarisches System, so wie es jetzt aufgebaut ist, für viele nicht attraktiv oder zugänglich ist.
Das bestätigt auch eine Tamedia-Umfrage unter Parlamentarier, die dieses Jahr veröffentlicht wurde. Über 2000 Kantonsrätinnen, Nationalräte oder Mitglieder eines Gemeindeparlaments haben an der Umfrage teilgenommen. Viele von ihnen berichten, wie schwierig sich die Suche nach neuen Kandidierenden gestaltet.
Ein Grund ist: Der Aufwand für das politische Mandat ist gross, die Entlöhnung aber mager. Im Kantonsrat Schaffhausen etwa bekommt ein Mitglied aktuell durchschnittlich rund 8000 Franken pro Jahr für ein Mandat, das etwa einem 20-Prozent-Pensum entspricht. Manche Kantonsräte reduzieren ihr Erwerbspensum, um mehr Zeit für den Kantonsrat zu haben und ihr Mandat gewissenhaft zu erfüllen. Diese Einkommenseinbusse muss man sich aber auch erst leisten können. Für Menschen mit tiefen Einkommen ist die Hürde, im Kantonsrat zu politisieren, also grösser.
Keine Stellvertretungen
Ein weiteres Hindernis ist die fehlende Stellvertretungsmöglichkeit. Ein Mitglied des Schaffhauser Kantonsrats, das über längere Zeit ausfällt, beispielsweise wegen einer Krankheit oder eines Unfalls, kann sich im Rat nicht vertreten lassen. Diese Stimme fehlt somit.
Besonders störend ist das bei Frauen, die im Mutterschaftsurlaub sind: Auch sie werden gezwungen, ihren Sitz leer zu lassen während dieser Zeit. Wenn sie nämlich trotzdem abstimmen gehen, um ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, gilt ihr Mutterschaftsurlaub offiziell als beendet – und sie verlieren ihren Anspruch auf den Erwerbsersatz. Eine diskriminierende Regelung, die manche Frau in der Familienplanung von einem politischen Mandat abhält.
Mehr Durchmischung
Unser parlamentarisches System ist nicht für alle gleich zugänglich. Im Schaffhauser Kantonsrat beispielsweise sind 78 Prozent Männer. Das Durchschnittsalter beträgt fast 54 Jahre und ein Drittel der Mitglieder ist bereits im Rentenalter. So sieht keine angemessene Vertretung der Bevölkerung aus.
Es ist gut und wichtig, dass verschiedene Kantone und auch der Bund erkannt haben, dass das parlamentarische System für mehr Menschen attraktiv sein muss. Im Kanton Schaffhausen diskutieren wir zurzeit über eine «Stärkung des Milizparlaments». Dabei werden wir uns unter anderem für eine höhere Entlöhnung der Ratsmitglieder oder eine Stellvertretungslösung einsetzen.
Unser Milizsystem ist auf engagierte Leute angewiesen. Versuchen wir also, das System für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. Als Demokratie haben wir ein Interesse daran, dass sich Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen politisch für ihre Anliegen einsetzen.
Und was die Umgangsformen in der Politik angeht: Die lassen sich leider nicht einfach auf dem gesetzlichen Weg verbessern. Aber ich habe die Hoffnung, dass das Verständnis für einander steigt, sobald die Politik durchmischter ist.
Zur Autorin: Isabelle Lüthi ist Mitglied der SP im Kanton Schaffhausen und sitzt seit dem Januar 2023 im Kantonsrat.