Isabelle Lüthi (SP): Mehr Zeit durch Teilzeitarbeit!
In Schaffhausen greifen bürgerliche Politiker*innen die Teilzeit-Arbeit an. Dabei würde es uns besser gehen, wenn wir alle mehr Zeit hätten. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Teilzeitarbeit ist heutzutage beliebter als sie das früher noch war.
- Das führt zu weniger Burn-Outs, wovon unser Sozialstaat profitiert.
- Ein Gastbeitrag der Schaffhauser Kantonsrätin Isabelle Lüthi.
Manche Menschen arbeiten Teilzeit, weil sie Kinder betreuen oder in einem Verein aktiv sind. Manche arbeiten Teilzeit, weil sie gar nicht Vollzeit arbeiten können; vielleicht, weil ihre Arbeitgeberin keine Vollzeitstelle anbietet oder, weil ihr Job körperlich oder mental viel zu anstrengend ist.
Und wieder andere arbeiten Teilzeit, weil sie einfach mehr Freizeit wollen – mehr Zeit für Bücher, Sport oder die Familie. Knapp 60 % der Schweizer Frauen im erwerbsfähigen Alter arbeiten Teilzeit und 18 % der Männer. Die Teilzeitarbeit ist beliebter als früher. Aber das heisst nicht, dass wir als Gesellschaft insgesamt weniger arbeiten.
Im Gegenteil: Weil heute nämlich mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen als noch vor 30 Jahren, arbeiten wir im Durchschnitt sogar etwas mehr.
Angst vor der Teilzeit
Bürgerliche Politiker*innen befürchten trotzdem, dass wir zu einer arbeitsfaulen Gesellschaft verkommen, in der alle nur noch netflixen und chillen – und das auf Kosten des Staates.
In verschiedenen Kantonen, auch in Schaffhausen, wurden Vorstösse eingereicht, die die Teilzeitarbeit unter Verdacht stellen. Sie fordern, dass Personen, die freiwillig Teilzeit arbeiten, weniger staatliche Subventionen erhalten.
Zum Beispiel bei der Kinderbetreuung oder den Krankenkassenprämien. Personen, die in hohen Arbeitspensen arbeiten, würden dank ihren Steuern sehr viel für unseren Sozialstaat leisten und dies solle belohnt werden.
Weniger arbeiten tut gut
Diese Forderungen sind kurzsichtig, denn sie unterschätzen, welchen Wert es für uns als Gesellschaft hat, wenn wir alle weniger arbeiten.
Die Forderungen implizieren: Mehr arbeiten ist immer besser, weil produktiver. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass die Produktivität der Angestellten bei kürzeren Arbeitswochen – etwa wie bei der 4-Tage-Woche in Island – gleich bleibt oder sogar zunimmt. Auch zeigt sich, dass in denjenigen Ländern, wo die Arbeitswoche besonders lang ist, die Leute durchschnittlich mehr fernsehen.
Das ist ja nicht unbedingt erstaunlich: Wenn man den ganzen Tag in einem anstrengenden Job verbringt, mag man den Abend vielleicht nicht auch noch mit aufwändiger Vereinsarbeit oder einer Weiterbildung verbringen.
Ausserdem wissen wir inzwischen auch, dass es unserer Gesundheit gut tut, weniger zu arbeiten. Ganz einfach, weil wir weniger gestresst sind und mehr Zeit für Erholung haben (und ja, Erholung darf auch heissen: Netflixen und Chillen).
Ich meine: Wenn weniger Menschen aus Überlastung und Überidentifikation mit dem Job in ein Burn-Out rennen, dann profitiert unser Sozialstaat davon. Sollten wir also nicht lieber darüber nachdenken, wie wir als Gesellschaft weniger arbeiten können?
Gratisarbeit braucht Zeit
Am meisten stört mich an den politischen Forderungen aber die Haltung: Nur bezahlte Arbeit ist richtige Arbeit. Der Vorwurf steht im Raum: Wer nicht voll arbeitet, ist faul.
Die Forderungen verkennen, dass nicht alle Teilzeit-Angestellten mehr Zeit für sich haben. Viele von ihnen übernehmen neben ihren bezahlten Jobs nämlich Verantwortung für die Gesellschaft. Menschen leisten tagtäglich viel Gratisarbeit und verzichten auf Einkommen, insbesondere Frauen.
Gerade die Familienarbeit, die Kinderbetreuung, braucht viel Zeit. Aber auch für die betagte Nachbarin einkaufen, sich in Vereinen oder politisch engagieren. Oder die ganze Hausarbeit – irgendwer muss ja für all die Manager einkaufen, kochen und ihre Wohnungen putzen, damit sie am nächsten Tag wieder im Büro performen können.
Es geht hier um Arbeit, die oft unsichtbar ist, aber gemacht werden muss, ob sie nun bezahlt ist oder nicht. Arbeit, die eben Zeit braucht. Arbeit, die für unsere Gesellschaft ebenso wichtig ist wie die bezahlte Arbeit. Ja, überlebenswichtig. Schlussendlich geht es darum, was wir als Gemeinschaft erschweren und was fördern wollen.
Statt Teilzeit zu bestrafen, sollten wir uns lieber überlegen: Wie können wir unser Leben so gestalten, dass alle mehr Zeit haben? Denn von mehr Zeit profitieren wir alle.
Zur Autorin: Isabelle Lüthi ist Mitglied der SP im Kanton Schaffhausen und sitzt seit dem Januar 2023 im Kantonsrat.