Stadtzürcher Mindestlohn von knapp 24 Franken hat gute Chancen
Das Zürcher Stadtparlament dürfte sich für die Einführung eines Mindestlohns von 23,90 Franken pro Stunde aussprechen.
Die Kommissionsberatung zeigt eine Mitte-Links-Mehrheit für einen angepassten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ein Lohn zum Leben».
Dieser stelle eine sinnvolle sozialpolitische Massnahme dar, heisst es in einer Medienmitteilung vom Donnerstag, 26. Januar 2023.
Es liesse sich so die Situation von Arbeitnehmenden in Tieflohnbranchen und von «Working Poor» verbessern, ohne dass negative Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft zu erwarten wären, begründet die Mehrheit ihre Haltung.
FDP, GLP und SVP lehnen Vorschlag ab
Die Kommissionsminderheit – bestehend aus FDP, GLP und SVP – lehnt «den regulatorischen Eingriff in den Arbeitsmarkt» hingegen ab.
Ein kommunaler Mindestlohn sei «kein geeignetes Instrument zur Armutsbekämpfung».
Die Mitte-Links-Mehrheit kann im Gemeinderat, der insgesamt 125 Mitglieder umfasst, auf 72 Stimmen zählen. FDP, GLP und SVP stellen hingegen nur 53 Vertreter.
«Ein Lohn zum leben»
Die im November 2020 eingereichte Volksinitiative «Ein Lohn zum leben» stammt von Gewerkschaften, Hilfswerken und linken Parteien.
Sie fordert einen Brutto-Stundenlohn von mindestens 23 Franken «für alle Arbeitnehmer, welche auf dem Gebiet der Stadt Zürich eine Beschäftigung verrichten».
Der Stadtrat stufte dieses Anliegen als berechtigt ein. Mindestlöhne würden die Einkommen von Tieflohnbeschäftigten erhöhen, hielt er in seinem Antrag an den Gemeinderat fest.
Unter-25-Jährige sollen ausgenommen werden
Der Stadtrat legt der Initiative aber einen Gegenvorschlag vor. Dieser trägt einerseits gewissen rechtlichen Bedenken Rechnung.
Andererseits will der Stadtrat die sozialpolitische Ausrichtung der Vorlage verstärken.
So sollen Unter-25-Jährige, die über keinen Berufsabschluss verfügen, vom Mindestlohn ausgenommen werden.
Damit soll verhindert werden, dass Aushilfsjobs durch einen Mindestlohn für junge Erwachsene attraktiver werden könnten als eine Berufsausbildung.
Gemeinderat ist ebenfalls für den Gegenvorschlag
Die Gemeinderatskommission spricht sich ebenfalls für diesen Gegenvorschlag aus. Sie beantragt aber noch weitere Anpassungen.
So soll etwa für Unternehmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, für die Einführung des Mindestlohns eine Übergangsfrist von zwei Jahren gelten.
Zudem soll der Mindestlohn, dessen Höhe der Stadtrat später jährlich überprüfen und anpassen soll, inflationsbereinigt bereits auf 23,90 Franken angehoben werden.
Das Initiativkomitee will die Initiative nun zurückziehen, um damit den Weg frei zu machen für den Gegenvorschlag, wie dieses mitteilte.
Schmerzliche Kompromisse
«Die Kompromisse im Gegenvorschlag sind inhaltlich schmerzlich. Gleichzeitig ermöglichen sie die Einführung eines breiter abgestützten Mindestlohns», wird Lorenz Keller, Präsident des kantonalen Gewerkschaftsbunds zitiert.
Sagt der Gemeinderat Ja, könnte der Gegenvorschlag ohne Volksabstimmung in Kraft treten.
Mindestlohn-Initiativen wurden auch andernorts im Kanton Zürich eingereicht.
Kloten lehnte «Ein Lohn zum Leben» ab
Die Stimmberechtigten in der Stadt Kloten lehnten «Ein Lohn zum Leben» im November 2021 jedoch mit einem Nein-Stimmenanteil von 52 Prozent knapp ab.
In Winterthur ist der 23-Franken-Mindestlohn im Parlament pendent. Dort beantragt der Stadtrat in einem Gegenvorschlag einen Mindestlohn von 21,60 Franken.