Vater

Auffällig viele Bücher über den abwesenden Vater

Keystone-SDA
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Bern,

Autorin Zora del Buono hat für ihren Roman «Seinetwegen» den Schweizer Buchpreis 2024 erhalten. Gleich sechs Bücher befassen sich mit der Suche nach dem Vater.

Zora del Buono
Die Zürcher Autorin Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall ums Leben kam. (Archivbild) - sda - Keystone/CHRISTIAN BEUTLER

Die Trägerin des Schweizer Buchpreises 2024 Zora del Buono lenkt mit ihrem Buch «Seinetwegen» die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das in der schweizerischen Literatur zurzeit eine erstaunliche Konjunktur erlebt: die Suche nach den Vätern.

Gleich sechs Bücher, die in den letzten Monaten erschienen sind, befassen sich mit der Suche nach dem Vater. Dabei präsentieren Vaterbücher des Jahres 2024 ein breites Spektrum an literarischen Formen. Und sie verraten Gemeinsamkeiten. Eine solche besteht darin, dass das väterliche Erbe zum Anlass wird, die Figur des Vaters darin zu suchen und sie in der Fantasie neu zu erfinden.

So wird die Zürcher Autorin Amsél im Coronajahr 2020 vom Urner Staatsarchiv angefragt, ob sie den wissenschaftlichen Nachlass ihres Vaters archivieren möchte. Traugott Z. war ein ETH-Physiker, der den Ruf eines «Wissenschaftlers mit ungewöhnlichen Ideen» hatte, wie ihm die ETH einmal beschied. Seine Theorie, «dass der Urstoff des Alls ein Bewusstsein, sprich etwas Psychisches, ist», konnte sich freilich bis heute nicht durchsetzen.

Amsél macht sich an die Inventur von Dokumenten, die sie oft nicht versteht. Umso lieber greift sie deshalb biografische Spuren auf und lässt sich von ihnen verführen, vom Vater als Kind und Jugendlichen zu erzählen. Zu Lebzeiten hat sie ihn bloss als zerstreuten Physiker kennengelernt.

Der Titel «Die Erfindung meines Vaters» ist auf listige Weise doppeldeutig. Während sie die «Wechselwirkungskosmologie», die den Vater unter dem richtigen Namen Traugott Muheim bekannt machte, inventarisiert, erfindet sie ihm eine Geschichte im Kreis der Familie, die bis zu den Urgrosseltern zurückreicht. Auch wenn diese alltäglichen Szenen mitunter etwas allzu pittoresk ausfallen, verbindet sie Historisches mit Ausgedachtem und verleiht ihrem Vater Gestalt. Es fällt auf, dass die Mutter der Erzählerin dabei gänzlich unsichtbar bleibt.

Wie Amsél tritt auch Nadine Olonetzky in «Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist» eine Erbschaft an. «Dass ich diese Geschichte erzählen kann, verdanke ich der Ausdauer meines Vaters», setzt sie zu ihrer Suche an. Im Nachlass findet sich eine umfassende Korrespondenz, die der Vater während Jahrzehnten mit dem «Landesamt für die Wiedergutmachung» führte. Er forderte darin Entschädigung für seine Flucht aus Nazideutschland.

Recherche verbunden mit literarischer Imagination und Erinnerung

Sorgfältig, mit Fortdauer allerdings etwas sehr akribisch, arbeitet die Erzählerin diese Dokumente durch und entwirft so ein Bild des Vaters, das ihr bisher nur vage bekannt war. Weil er Jude war, war er 1943 in die Schweiz geflohen, während Mitglieder seiner Familie im Holocaust ermordet wurden. Unwillkürlich wird die Erzählerin Teil der Geschichte, doch erst nach dem Tod spricht der Vater darüber zu ihr in Form der hinterlassenen Dokumente.

Indem Olonetzky Orte besuchte, an die ihre Grosseltern deportiert wurden, und sich gedanklich die Flucht des Vaters vorzustellen versucht, verbindet sie in ihrem Buch Recherche mit literarischer Imagination und eigener Erinnerung. Sie verwendet Klarnamen, um den biografischen Hintergrund zu bekräftigen, während hingegen Amsél die richtigen Namen hinter Initialen und Pseudonymen verbirgt.

Ohne Namen kommt Florian Bissig in «Anchises in Alaska» aus. Sein «Vaterbuch in Versen» ist die intime Zwiesprache mit einem väterlichen Du, zu dem das lyrische Ich ein ambivalentes Verhältnis hegt. Zur Charakterisierung greift Bissig auf mythische Gestalten zurück. Der titelgebende Anchises war der Vater des Helden Aeneas, der jenen voller Demut ehrte und nach dessen Tod «tränenreich» in der Unterwelt besuchte.

Dieser poetische Bezug dient nicht der Überhöhung. Vielmehr wird so eine Vaterbeziehung herausgearbeitet, die weder tragische noch spektakuläre Züge trägt. «War ich dir ein schlechter Sohn», fragt das Ich einmal. Bissig umspielt im Zentrum die «Kunst abwesender Anwesenheit», die das Vater-Du zu Lebzeiten so gut beherrschte und den Sohn verstörte.

Stichworte wie Alkohol, Unfallmediziner und später Demenz rahmen diese Beziehung, im Grunde aber geht es um eine Verletzung, die der Sohn post mortem an sich diagnostiziert. Florian Bissig fasst diese komplexe Gefühlslage in Verse, die mal weich zeichnen, mal scharfe Kanten zeigen. Die lyrische Rede erlaubt ihm, deutungsoffen Lücken zu lassen und dennoch die Intimität seiner Ansprache eindringlich spürbar zu machen.

Bei Martin R. Dean, der mit «Tabak und Schokolade» für den diesjährigen Schweizer Buchpreis nominiert war, werfen die Väter lange Schatten, selbst da, wo er den Spuren seiner Mutter folgt. Oder: Die Vater-Figur kann dermassen raumgreifend sein, dass sich die Erzählerin in Jeanette Hunzikers «Für immer alles» fragt, ob die Sucht des Vaters vererbbar sei, selbst wenn dieser gar nicht der leibliche Erzeuger ist.

Zora del Buono, die Trägerin des Schweizer Buchpreises 2024, hat ihren Vater verloren, als sie acht Monate alt war. 60 Jahre später versucht sie, diese schmerzliche Leerstelle literarisch zu füllen.

So lässt sich konstatieren: Die Mutter ist gewiss, wo aber bleiben die Väter?

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