Arte stellt die Regisseurin Alice Guy vor
Alice Guy ist 23 Jahre alt, als sie 1896 ihren ersten Film dreht. Im Laufe der Jahrzehnte folgen Hunderte. Doch viele sind verschollen. Der Kulturkanal Arte zeigt eine sehenswerte Doku über die Filmpionierin.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Fass rollt und rollt und reisst eine Fahrradfahrerin mit sich.
Zwei Damen sind zwischen den Geländern einer Bank eingeklemmt und müssen mit der sperrigen Sitzgelegenheit am Allerwertesten die Treppe hochkriechen.
Eine als Fee gekleidete Frau zaubert Kinder zwischen Kohlpflanzen hervor. Mit solchen fantasievollen, teils slapstickhaften Filmen begeisterte Alice Guy zum Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts die Menschen. Kaum hatten die Brüder Lumière ihren ersten Film gezeigt, drehte die Französin mit 23 Jahren ihren ersten Spielfilm. Mit 32 Jahren leitete sie dann das damals grösste Filmstudio der Welt.
Mehrere hundert Filme schrieb, betreute oder drehte sie im Laufe ihres Lebens, Krimi-Altmeister Alfred Hitchcock erinnerte sich später begeistert an Guys Werke - und doch würdigte sie lange kaum ein Filmhistoriker. Arte erinnert am Mittwoch (5.1., 22.20 Uhr; online in der Arte-Mediathek bis zum 5. März verfügbar) mit der Dokumentation «Alice Guy, die vergessene Filmpionierin» von Valérie Urrea und Nathalie Masduraud an die Filmpionierin, deren Leben voller Superlative ist. Als einer der ersten Menschen drehte sie einen Spielfilm, entdeckte technische Möglichkeiten wie Überblendungen und war wohl die erste Frau der Filmregie überhaupt.
Erstmalig nur afroamerikanische Darsteller
1873 als Tochter eines Verlegers geboren, arbeitete Guy zunächst als Sekretärin einer Firma, die Kameras herstellte. Dann machten Kinematographen bewegte Bilder möglich und Guy überzeugte ihren Chef, fantasievolle Filme drehen zu dürfen - sie wurden ein Riesenerfolg. Nach ihrer Hochzeit mit Kameramann Herbert Blaché und einem Umzug in die USA leitete sie ihre Filmgesellschaft Solax, bewarb die Stars ihrer Filme und stellte Geschlechterrollen und Vorurteile in Frage.
Ihr Film «Ein Narr und sein Geld» («A Fool and His Money», 1912) gilt als erster Film, in dem ausschliesslich afroamerikanische Darsteller spielten - die weissen Kollegen hatten nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollen.
Als Frau habe sie es im Beruf oft schwer gehabt, erinnerte sich Guy im hohen Alter in einem Interview, aus dem Arte Ausschnitte zeigt. Besonders faszinierend sind an der Doku die zahlreichen Originalausschnitte aus Alice Guys Produktionen. Da sind etwa in einer Umkehrung der traditionellen Geschlechtervorstellungen Frauen zu sehen, die Männer bei der Hausarbeit überwachen. Eine Schwangere hat unbändigen Hunger auf Essen. Ein Historienepos zeigt «Das Leben Christi» oder Cowboys reiten durch die Prärie.
Lange hatten Filmhistoriker viele von Guys Werken Männern zugeschrieben. Viele waren und sind verschollen, erst in den letzten Jahrzehnten tauchten manche wieder auf und wurden neu aufbereitet. Pamela Green stellte 2018 beim Filmfestival in Cannes eine Dokumentation über das Leben und Werk von Alice Guy vor und sorgte für neue Aufmerksamkeit für die Künstlerin. Auch die #MeToo-Debatte trug wohl zu einem Umdenken bei.